Jährlich erleiden mehr als 270.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Rund 25.000 sterben infolgedessen; jeder Dritte behält ein lebenslanges Handicap wie beispielsweise Lähmungen oder Sprachstörungen. Das macht deutlich – bei einem Schlaganfall zählt jede Sekunde. Aber wie erkenne ich bei mir oder einer anderen Person einen Schlaganfall? Welche Anzeichen darauf hindeuten und wie Sie sich im Fall der Fälle am besten verhalten, erklärt Privatdozent Dr. Siegfried Kohler, Chefarzt der Klinik für Neurologie mit Regionaler Stroke Unit am Biberacher Sana Klinikum.
Herr Dr. Kohler, warum zählt bei einem Schlaganfall jede Sekunde?
Bei einem Schlaganfall handelt es sich um eine plötzlich auftretende Durchblutungsstörung bestimmter Gehirnabschnitte. Dabei ist entweder eine das Hirngewebe versorgende Arterie verschlossen (Hirninfarkt) oder eine solche Arterie ist geplatzt (Hirnblutung). Die Nervenzellen im Gehirn werden dann nicht mehr oder zu wenig mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und sterben ab. Einmal abgestorbene Zellen lassen sich nicht wieder herstellen, es drohen bleibende Schäden. Für eine erfolgreiche Therapie ist die Zeit also entscheidend – je schneller ein Schlaganfall behandelt wird, umso größer sind die Chancen auf eine vollständige Genesung.
Wie erkenne ich einen Schlaganfall?
Es gibt Anzeichen, bei denen unverzüglich ein Notarzt alarmiert werden sollte. Dazu zählen Lähmungserscheinungen, besonders wenn sie einseitig auftreten, Sprach- und Schluckstörungen, Schwindel, plötzliche Sehstörungen, starke Kopfschmerzen oder Koordinationsschwierigkeiten. Welche Symptome in welcher Intensität auftreten, hängt davon ab, welcher Teil des Gehirns betroffen ist. Um die Situation besser einschätzen zu können, gibt es auch einfache Tests, mit deren Hilfe schnell beurteilt werden kann, ob ein Schlaganfall vorliegen könnte. Besonders bekannt ist hier der sogenannte FAST-Test.
Wie funktioniert der FAST-Test?
Der FAST-Test steht für face, arm, speech und time. Das bedeutet auf Deutsch, dass wenn eine Gesichtshälfte, ein Arm (gilt natürlich auch für das Bein) hängt oder die Sprache beeinträchtigt ist, dann ist es höchste Zeit, den Notarzt zu rufen. Besteht also der Verdacht auf einen Schlaganfall, bitten Sie die betroffene Person zu lächeln, beide Arme gleichzeitig zu heben und einen einfachen Satz nachzusprechen. Bereitet eine der Aufgaben Probleme, ist sofort der Notarzt zu rufen. Das gleiche gilt bei unklaren Gleichgewichtsstörungen oder plötzlichen Sehstörungen. Um alle möglichen Formen des Schlaganfalls zu berücksichtigen, wurde der klassische FAST-Test so bereits vor einigen Jahren um die Bereiche „balance“ und „eyes“ erweitert und ist heute auch als sogenannter BE-FAST-Test bekannt. Grundsätzlich gilt jedoch: Verwenden Sie nicht zu viel Zeit für eine Selbstdiagnose. Im Zweifel sollte immer und unverzüglich der Rettungsdienst alarmiert werden.
Ich vermute bei mir oder einem Angehörigen einen Schlaganfall – was muss ich tun?
Am wichtigsten ist es, ruhig zu bleiben und sofort den Rettungsdienst unter der 112 zu rufen. Weisen Sie dabei unbedingt darauf hin, dass ein Schlaganfall vorliegen könnte. Bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes sollte der Betroffene sicherheitshalber, aufgrund der möglicherweise auftretenden Schluckbeschwerden, nichts essen oder trinken.
Was passiert nach einem Notruf?
Liegt der Verdacht auf einen Schlaganfall vor, wird der Patient im besten Fall direkt in eine Stroke Unit gebracht. Das sind Abteilungen in Krankenhäuser, die auf die Diagnose und Behandlung von Schlaganfallpatienten spezialisiert sind. Dort wird im ersten Schritt abgeklärt, ob tatsächlich ein Schlaganfall vorliegt. Ist dies der Fall, wird sofort mit der Behandlung begonnen. Entscheidend für deren Erfolg ist nach wie vor die schnelle und vor allen Dingen gezielte Hilfe – von der ganzheitlichen Therapie bis zur frühen Rehabilitation. Bei der Therapie unterscheidet man dabei zwischen Akuttherapie, dazu gehört beispielsweise die sogenannte Lysetherapie zur Öffnung eines verschlossenen Blutgefäßes; der Sekundärprophylaxe, das heißt der längerfristigen (medikamentösen) Behandlung; sowie der Therapie von Risikofaktoren zur Verhinderung eines weiteren Schlaganfalls.
Welche Risikofaktoren gibt es?
Etwa 75 Prozent der Schlaganfallpatienten sind über 65 Jahre alt. Das Alter spielt also eine große Rolle. Daneben ist ein hoher Blutdruck – mit großem Abstand – der größte Risikofaktor. Erhöhte Blutzuckerwerte bei Diabetes mellitus, erhöhte Blutfette sowie Rauchen stellen additive Risikofaktoren dar. Eine optimale Blutdruck- und Blutzuckereinstellung, regelmäßige Bewegung, Nichtrauchen sowie eine gesunde, ausgewogene Ernährung ist daher essenziell. Generell gilt – seien Sie wachsam und nehmen Sie mögliche erste Anzeichen ernst. Das kann gegebenenfalls Leben retten.