Corona bedeutet einen tiefen Einschnitt in die Lebenswelt aller. Vor allem alleinstehende Menschen sind wegen des Corona-Lockdowns einsamer und bewegen sich weniger. Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe stellt daher das Thema Einsamkeit in den Mittelpunkt des Aktionstages gegen den Schlaganfall am 10. Mai 2021. Erst einsam, dann krank? – das haben wir Dr. Alexander Reinshagen, Chefarzt der Klinik für Neurologie an den Sana Kliniken Leipziger Land in Borna und Regionalbeauftragter der Deutschen Schlaganfall-Hilfe, gefragt.
Kann man an Vereinsamung und Bewegungsmangel wirklich sterben?
Es scheint so. „Einsamkeit ist die Todesursache Nummer eins in den westlichen Ländern“, sagt der bekannte Neurowissenschaftler und Psychiater Manfred Spitzer. Und eine Metastudie der University of York in Großbritannien zeigt, dass Einsamkeit und soziale Isolation das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, deutlich erhöhen.
Einsamkeit: Was ist das eigentlich?
Wer selbstgewählt kurz- oder längerfristig allein ist, ist nicht unbedingt einsam. Dieses Gefühl entsteht erst, wenn dieser Zustand nicht gewünscht ist. Dabei kennt das Phänomen Einsamkeit viele Facetten. Einsam fühlen können sich zum Beispiel Schulkinder, die keine Freunde haben, Jugendliche, die ihre Clique verlieren, weil sie umziehen müssen, Großeltern, deren Kinder und Enkel andernorts eine neue Heimat gefunden haben, Rentner, denen mit ihrem Beruf der zentrale Lebensinhalt und die Mehrzahl der Sozialkontakte abhandenkamen oder Verwitwete, die erkennen, dass sie allein keine Freundschaften pflegen können oder wollen. Einsamkeit ist also kein schlagartig auftretender Gemütszustand, sondern ein reifendes Gefühl, das einen immer größeren Bereich der Seele für sich beansprucht.
Warum kann das krank machen?
Nach der eingangs erwähnten Metastudie steigt durch Einsamkeit und soziale Isolation das Risiko für zum Beispiele Schlaganfälle – und zwar ähnlich hoch wie durch leichtes Rauchen, Angst und Arbeitsstress. Das Risiko ist bei Einsamkeit höher als Blutdruck oder Fettleibigkeit. Für Menschen, die einsam sind oder in sozialer Isolation leben, ist das Risiko für einen Schlaganfall – in den reichen Ländern eine der primären Krankheits- und Todesursachen –sogar um 32 Prozent höher.
Was kann man gegen Einsamkeit tun?
Einsamkeit ist vermeidbar – jeder von uns kann seinen Teil dazu beitragen, dass sich andere Menschen nicht einsam fühlen. Laden Sie die alleinstehende Nachbarin mal auf eine Tasse Tee ein. Zeigen Sie anderen Menschen Möglichkeiten für neue Kontakte auf. Engagieren Sie sich ehrenamtlich, zum Beispiel in der Seniorenarbeit oder in der Unterstützung Jugendlicher. Dazu muss man vielleicht seine persönliche Komfortzone verlassen, aber es lohnt sich.
Und aus medizinischer Sicht?
Wenn wir das Schlaganfallrisiko unserer Patienten senken wollen, sollten wir neben den bekannten bewährten Maßnahmen auch deren soziale Netzwerke mit einbeziehen und sie ermutigen, neue Wege und Bekanntschaften einzugehen.
Was kann man denn an sich gegen Schlaganfälle tun?
Einem Schlaganfall kann durch gesunde Lebensweise bis zu einem gewissen Grad vorgebeugt werden. Im Akutfall aber viel wichtiger: Auch geringste Schlaganfall-Symptome, selbst wenn sie nach ein paar Minuten wieder von allein verschwunden sein sollten, erfordern schnellstes Handeln. Rufen Sie die 112 – jede Minute zählt, um Folgeschäden zu vermindern.
Warum diese Eile?
Zeit ist der entscheidende Faktor bei der Akutversorgung von Schlaganfallpatienten, es entscheidet das sofortige Handeln aller Beteiligten, also angefangen bei den Beobachtern, die die 112 ohne ‚Wenn und Aber‘ anrufen und natürlich den Betroffenen selbst. Im Gehirn sterben mit jeder Minute Millionen von Nervenzellen ab, wenn nicht aktiv gegen den Schlaganfall vorgegangen wird. In speziell und vor allem mit hochqualifiziertem Personal rund um die Uhr ausgestatteten Schlaganfall-Stationen findet sich heutzutage die größte Chance, Überleben zu sichern und Folgeschäden auf ein Minimum zu reduzieren. Damit immer mehr Patienten von den Fortschritten der Schlaganfall-Behandlung profitieren, hat sich der medizinische Aufwand schon fast exponentiell entwickelt, wichtig ist demnach die schnellste Verbringung – nicht selbst mit dem Auto fahren – in ein Krankenhaus mit einer spezialisierten Schlaganfall-Station (Stroke unit).
Warum ist ein Warnen immer noch wichtig?
Da ein Schlaganfall nicht schmerzt, werden die ersten Symptome häufig nicht in ihrer Dramatik gewürdigt. Genauso schlimm ist es, ein nur über Minuten währendes Schlaganfallsymptom nicht ernst zu nehmen, auch dann müssen die Betroffenen unbedingt über die 112 ins Krankenhaus kommen. Die nur kurzzeitigen Symptome sind häufig nur der Vorbote eines nächsten und dann bleibenden Hirninfarkts. Diese sind in über zehn Prozent tödlich, auch wenn sie „ganz klein“ angefangen haben. Jede Minute entscheidet über die Rettung wichtiger Gehirnfunktionen und das Vermeiden bleibender Folgeschäden für die Betroffenen. Sind Angehörige im Ernstfall anwesend, wird die Rettungskette über die 112 häufig sehr viel schneller aktiviert, Alleinlebende denken häufig, das wird schon wieder weggehen, ich will doch jetzt keinem zur Last fallen – Nein: Bei jedweden Symptomen für einen Schlaganfall immer sofort den Rettungsdienst über die 112 anrufen – es ist Ihr Gehirn, das es zu retten gilt.
Betroffene, Angehörige und Interessierte finden auf der Website der Sana Kliniken Leipziger Land ein ausführliches Video, in dem sich verschiedene Experten des Sana Klinikums mit dem Thema befassen.