Sturzprophylaxe

Kinästhetik

Achtung Sturzgefahr

Menschen, die einen Angehörigen pflegen, bewältigen in ihrem Alltag eine doppelte Aufgabe: Sie sorgen einerseits für die Lebensqualität des pflegebedürftigen Menschen und andererseits für sich und die engere Familie. Sie führen ihr eigenes Leben weiter und helfen zusätzlich dem pflegebedürftigen Menschen bei der Verrichtung alltäglicher Aktivitäten, wie beim Aufstehen, Waschen, Ankleiden und Essen.

2015 titelte das Robert-Koch-Institut: „Pflegende Angehörige – Deutschlands größter Pflegedienst“ und schätzte den Bevölkerungsanteil auf knapp sieben Prozent aller Erwachsenen. Demnach zählen rund 4,7 Millionen Menschen in die Gruppe der pflegenden Angehörigen. Und die Tendenz ist steigend. Mobilität und Sturzprophylaxe gehören neben bürokratischen und organisatorischen Fragestellungen zu den wichtigsten Themen in der häuslichen Pflege. Rund 40 Prozent aller über 65-Jährigen stürzen mindestens einmal pro Jahr nennenswert, und ein Großteil der Unfälle ereignet sich zuhause.

Es gibt zahlreiche Ansätze, das Sturzrisiko zu reduzieren. Ganz wichtig ist es sowohl für den Pflegenden als auch den hilfsbedürftigen Patienten sich mit Bewegungsabläufen auseinanderzusetzen und soweit möglich, die Bewegungsfähigkeiten regelmäßig zu üben. Das Programm „Kinästhetik für pflegende Angehörige“ bietet hier wirksame Hilfe zur Bewältigung des häuslichen Pflegealltags – sowohl für den Pflegenden als auch für den betroffenen Pflegebedürftigen. Denn Kinästhetik ist das Studium der Bewegung und der Wahrnehmung. Die Beteiligten lernen, mit Achtsamkeit Bewegungsabläufe besser zu verstehen und sie nachzuvollziehen.

Die Kinästhetik erläutert die folgenden Aspekte und beantwortet die dazugehörenden Fragen:

  1. Gute Kommunikation zwischen Patient und Pflegenden hilft, Vertrauen und damit die Basis für eine unverkrampfte körperliche Pflege aufzubauen. Verstehen sich die Beteiligten?
  2. Die anatomische Funktion des Pflegebedürftigen ist wichtiger Ausgangspunkt. Kann der Pflegebedürftige durch die Anleitung seine eigenen Fähigkeiten aktivieren und gelingt es ihm, dafür die eigenen Ressourcen einzusetzen?
  3. Beide Seiten sollten die gewünschte Bewegung und erlebte Anstrengung kennen: Hilft die Anleitung dem Pflegebedürftigen, seine eigenen Bewegungsressourcen so zu nutzen, dass die Anstrengung gering wie möglich ist, und schafft er es, den Grad der Anstrengung selbst zu koordinieren?
  4. Insgesamt sollten sich die Beteiligten mit den menschlichen Funktionen vertraut machen. Die Kinästhetik bietet ein Ordnungssystem, um menschliche Aktivitäten zu verstehen und zu klassifizieren.
  5. Die Umgebung sollte soweit möglich auf die häusliche Pflege abgestimmt sein. Bietet die Umgebung unnötige Gefahren oder unterstützt sie die häusliche Pflege?

Krankenhäuser, Volkshochschulen und viele andere Organisationen bieten gezielte Kompaktkurse für pflegende Angehörige an. Aber auch schon mit einfachen Mitteln lässt sich die Pflegeumgebung zu Hause anpassen, sodass Sturzrisiken für den Pflegebedürftigen und die Belastung für den pflegenden Angehörigen reduziert werden:

  • Licht: Rund um die Uhr, nachts mit Hilfe eines Notlichts, sollte die Lichtsituation ausreichend hell sein. Der Pflegebedürftige sollte von seinem Bett aus eine zusätzliche anzustellende Lichtquelle erreichen können.
  • Freier Boden und Telefon: Es sollten keine Gegenstände auf dem Boden liegen, wie Zeitungen oder auch (Haus-) Schuhe. Auch Kabel aller Art, wie Telefon- und Verlängerungskabel, bergen ein großes Risiko und sollten deshalb niemals quer durch Räume, sondern den Wänden entlang oder hinter Möbeln verlaufen. Schnurlose Telefone bieten hier eine deutliche Erleichterung. Grundsätzlich sollten Telefone für den Pflegebedürftigen gut erreichbar sein.
  • Unebenheiten: Sollten sich Treppen und Türschwellen im unmittelbarer Nähe des Aufenthaltsbereichs eines pflegebedürftigen Menschen nicht vermeiden lassen, sollten die Stufen möglichst mit Antirutschkanten versehen und nach Möglichkeit auch mit Signalband oder auffallender Farbe besser sichtbar gemacht werden, um die Trittsicherheit zu erhöhen. Türschwellen können häufig ganz entfernt werden. Gerade bei Pflegebedürftigen mit eingeschränkter Sehkraft führen sonst schlecht sichtbare Unebenheiten zu erheblichen Unsicherheiten, was alleine schon die Sturzgefahr erhöht.
  • Bewegliche Teppiche: Auf bewegliche Teppiche aller Art sollte möglichst ganz verzichtet werden, oder aber zumindest sollten die Teppiche so verklebt werden, dass ein Verrutschen, ein Faltenwurf oder gar hochstehende Ecken vermieden werden.
  • Badezimmer: Eine große Gefahrenquelle für mobilitätseingeschränkte und ältere Menschen sind oft die Badezimmer. Rutschhemmende Matten, zusätzliche Haltegriffe und, wenn möglich, auch vereinfachte Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten in die Dusch- und Badewanne geben mehr Sicherheit und reduzieren die Sturzgefahr. Je nach Gesundheitszustand des Pflegebedürftigen können auch festinstallierte Klappsitze in der Dusche dem Betroffenen mehr Privatsphäre bei der Körperpflege ermöglichen, da er sitzend das Waschen noch selbst übernehmen kann. Grundsätzlich sollten nasse Fußböden möglichst vermieden werden, denn sie bergen meist eine deutliche Rutschgefahr.

Pflegende Angehörige haben nach §45 SGB XI Anspruch auf Pflegekurse und Pflegeschulungen.