Schlaganfall und Demenz – das sind die Schlagworte, die zuerst fallen, wenn es um Nervenerkrankungen im Alter geht. Häufig übersehen wird die Altersepilepsie. Dabei ist sie die dritthäufigste Nervenkrankheit unter den Senioren. Einmal erkannt, sind die Beschwerden sehr gut behandelbar, sagt Dr. med. Alexander Reinshagen, Chefarzt der Neurologie am Sana Klinikum Borna.
Was verstehen Mediziner generell unter einer Epilepsie?
Reinshagen: Vereinfacht gesagt ist ein epileptischer Anfall ein »Kurzschluss« im Gehirn, der durch eine vorübergehende Übererregbarkeit von Nervenzellen im Gehirn ausgelöst wird. Die Anfälle können sehr unterschiedlich aussehen, das Bild, dass die meisten vor Augen haben, sind die Symptome des »großen Anfalls«, bei dem es zu einem Bewusstseinsverlust, zu Verkrampfungen und Zuckungen des ganzen Körpers kommt.
Ist das auch bei einer Altersepilepsie der Fall?
Nein. Bei einer Altersepilepsie treten solche Anfälle wesentlich seltener auf. Im Alter – wir rechnen da schon ab dem 60. Lebensjahr – kommt es eher zu kurzen Abwesenheitszuständen – einem »Vor-sich-hin-stieren« – vorrübergehendem Verwirrtsein, einer temporären Unfähigkeit zu sprechen, einem kurzen Durcheinandersein, das zum Teil nur den Angehörigen auffällt, oder zu wenige Minuten anhaltenden Fehlhandlungen.
Man erkennt eine Altersepilepsie also nur schwer?
Ja. Die Besonderheiten im Erscheinungsbild führen dazu, dass eine Epilepsie im Alter oft nur altersgegeben missverstanden wird. Das kann gesundheitliche Folgen haben, wenn zum Beispiel die Epilepsie als Ursache von Stürzen (durch kurzen Bewusstseinsverlust: Auf einmal habe ich mich liegend vorgefunden), nicht erkannt wird und damit künftige Unfälle mit auch Knochenbrüchen nicht vermieden werden. Zu denken ist auch daran, dass immer mehr Ältere Auto fahren, da kann eine kurze Bewusstseinspause auch zu Unfällen führen. Kommen andere Erkrankungen, wie etwa Parkinson oder Demenz hinzu, überdecken die Beschwerden möglicherweise die Symptome der Altersepilepsie.
Wie kommt es eigentlich zu einer Altersepilepsie?
Ursachen für die Epilepsie im Alter können u.a. Kopfverletzungen, kleine Schlaganfälle, beginnende Demenz, Alkoholmissbrauch, Medikamente oder Entzündungen sein. Aber eben auch das Alter allein führt zu einer Schädigung der Isolierung der Nervenzellen, so dass es zu »Kurzschlüssen« kommen kann.
Wie sollten Angehörige und Betroffene reagieren?
Tritt ein solcher Anfall zum ersten Mal auf, muss der Notarzt gerufen werden, da sich eine akut lebensbedrohliche Erkrankung dahinter verbergen kann. Ist so ein Anfall schon mehrmals aufgetreten, ist in der Regel zunächst der Hausarzt erster Ansprechpartner, dann der Neurologe. Da Betroffene das Ereignis oft selbst gar nicht wahrnimmt und der Anfall im Alter nicht so dramatisch abläuft, sind die Angehörigen gefragt. Der Neurologe benötigt eine möglichst genaue Schilderung dessen, was passiert ist. Gegebenenfalls kann man das Verhalten des Betroffenen auch mit dem Handy filmen und dem Neurologen vorspielen – auch dem Betroffenen wird durch das Vorspielen des Videos häufig erst bewusst, was mit ihm geschieht. Kommt es doch zu einem großen Anfall mit Verlust des Bewusstseins, einem Krampfanfall und Zuckungen an Armen und Beinen, sollten der Betroffene vor Verletzungen am Kopf geschützt werden und der Notarzt gerufen werden.
Wie wird die Altersepilepsie diagnostiziert?
Der Neurologe erfragt die Krankengeschichte und untersucht den Betroffenen. Die wichtigste Untersuchung bleibt die Elektroenzephalographie (EEG), die die elektrische Aktivität des Gehirns, ähnlich wie beim EKG, misst. Eine Untersuchung mit einem bildgebenden Verfahren (Schädel-CT, -MRT) kann Aufschluss über die Ursache des Anfalls geben.
Welche Epilepsie-Therapien gibt es?
Gerade die Altersepilepsie lässt sich sehr gut in den Griff bekommen. Derzeit stehen uns dafür fast 20 verschiedene Präparate zur Verfügung. Die Medikamente stabilisieren die Gehirnaktivität, haben zudem kaum Nebenwirkungen. Sind Bewusstseinsstörungen aufgetreten, darf man zu seinem eigenen und dem Schutz anderer vorerst nicht selbst Auto fahren und sollte beim Baden im See vorsichtig sein, denn eine epileptische Bewusstseinsstörung kann ohne jede Ankündigung auftreten. Generell kann man mit einer gut eingestellten Altersepilepsie heute sehr alt werden.