Was sollten Kliniken neben einer guten individuellen Förderung bieten, damit Mitarbeiter gerne in ihrer Einrichtung arbeiten?
Innovative Arbeitszeitmodelle spielen eine wichtige Rolle. Hier ändern wir gerade eine Menge, sodass ein Dienstbeginn um 6 Uhr künftig nicht mehr die Regel, sondern eher die Ausnahme sein wird. Unser Ziel ist es, unseren Mitarbeitern auch zeitlich bestmöglich entgegenzukommen. Das betrifft nicht nur junge Familien, sondern auch Mitarbeiter, die neben ihrer Arbeit noch einen Angehörigen pflegen. Dann organisieren und unterstützen wir auch Hospitationen. Im letzten Jahr war ein Team aus Ärzten, Pflegenden und Physiotherapeuten für zwei Wochen mit der Robert Bosch Stiftung in Australien und hat dort in einer Einrichtung für Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose hospitiert. Das war von der Pflege initiiert worden. Ein solcher Austausch ist unvergesslich. Das beflügelt geradezu.
Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht das Gehalt?
Ein angemessenes Gehalt spielt sicher eine Rolle – auch wenn ich kein Fan des Gießkannenprinzips bin. Wir haben Zulagen für bestimmte Bereiche, wie Beatmungsstationen, Intensivstationen und unser Querschnittgelähmtenzentrum. Auch bestimmte Qualifikationen und Aufgaben werden zusätzlich honoriert, wie Atemtherapeuten und Projektverantwortliche. Wer sich weiterqualifiziert und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, kann auch in der Pflege Geld verdienen.
Bekommen Bachelor-Absolventen das gleiche Gehalt wie Gesundheits- und Krankenpfleger oder mehr?
Unser Ziel ist es, dass akademisierte Pflegekräfte monatlich 500 Euro brutto mehr bekommen. Das hängt aber primär von ihrem Arbeitsfeld ab. Es ist derzeit eine große Herausforderung, entsprechende Arbeitsstellen zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen. Eine stärkere projekt- und expertenorientierte Ausrichtung hilft uns dabei. Aktuell können die Mitarbeiter ein Projekt übernehmen und erhalten dann eine Zulage von 175 Euro monatlich. Vor allem akademisierte Mitarbeiter nehmen dies regelmäßig in Anspruch. Sobald sie entsprechend verantwortungsvollere Aufgaben übernehmen, wie unsere Führungskräfte, bekommen sie natürlich mehr.
Was halten Sie von Abwerbeprämien?
Gar nichts. Mitarbeiter, die wegen des Geldes kommen, gehen auch schnell wieder. Wir möchten lieber echte Perspektiven bieten und unsere Mitarbeiter über gute Karrierechancen binden.
Oft wird Wertschätzung als entscheidende Variable für eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit genannt. Was bedeutet Wertschätzung konkret für Sie?
Für uns als Unternehmen wird Wertschätzung vor allem als Strategie für die Pflege gesehen. Das heißt, wir entwickeln die Pflege weiter, wir schaffen Stellen, wir bieten gute Arbeitsbedingungen und Optionen für die Pflegenden. Für mich persönlich bedeutet es auch zu sehen, dass die Pflege Tolles leistet und das zurückzumelden. Das heißt aber auch, Dinge offen anzusprechen, wenn etwas mal nicht so gut läuft. Man braucht nicht alles „schönzureden“. Für mich umfasst Wertschätzung zudem, Vertrauen in die Mitarbeiter zu haben, Verantwortung zu übertragen und der Pflege neue Aufgabenfelder zuzutrauen.
Es heißt ja immer, man verlässt nicht sein Unternehmen, sondern seinen Vorgesetzten. Ist das aus Ihrer Sicht so?
Der Kontakt zum direkten Vorgesetzten spielt bestimmt eine wichtige Rolle. Ich sehe Führungskräfte deshalb auch in der Verantwortung, ihre Mitarbeiter abzuholen, sie individuell zu fördern, eine gute Teamkultur zu prägen und darüber hinaus für das Unternehmen zu begeistern. Wenn es mit dem direkten Vorgesetzten nicht gut läuft, besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter gehen. Wir versuchen deshalb, unsere leitenden Mitarbeiter so zu fördern, dass sie dieser Aufgabe gewachsen sind, und zwar durch das Sana-Führungskräfteentwicklungsprogramm, individuelle Coachings und kollegiale Beratung.
Erfordern die jungen Pflegenden – Stichwort Generation Y – heute ein anderes Vorgehen der Mitarbeiterbindung?
Die Generation Y hat unheimlich viel Potenzial: Die jungen Pflegenden sind zielstrebig, haben viele Ideen, sind schnell und sehr gut digital vernetzt. Sie tun sich aber manchmal etwas schwerer damit, tradierte Strukturen zu akzeptieren und wollen keine Befehlsempfänger sein. Sie legen viel Wert auf ihren persönlichen Freiraum und haben schon mal den Wunsch, drei Monate nach Neuseeland zu reisen. Das versuchen wir auch zu ermöglichen. Ich hoffe, dass wir diese Generation in der Pflege halten können, indem wir ihnen gute Karrierechancen bieten.
Sie haben sich als Uniklinikum auf den Weg gemacht, ein Magnetkrankenhaus zu werden. Hing diese Entscheidung auch mit dem zunehmenden Personalmangel zusammen?
Ich denke schon. Das Magnetkonzept ist immer schon ein Personalgewinnungsinstrument gewesen, und die jetzige Situation im Gesundheitswesen spielt uns natürlich in die Karten. Viele Bausteine des Magnetkonzepts sind nun ohnehin gefordert, wie die Qualitätsindikatoren oder Hygienedaten. Wir am RKU sind hier jetzt einen Schritt voraus.
Ganz einfach formuliert ist das Ziel von Magnetkrankenhäusern, Patienten und Mitarbeiter wie Magneten anzuziehen und zu binden. Wie gelingt das?
Wir haben jetzt schon einige Bewerber, die gezielt zu uns kommen, weil sie Teil des Magnetkrankenhauses sein wollen – so formulieren sie das auch. Was dabei aus meiner Sicht entscheidend ist: Magnetkrankenhäuser haben eine klare Strategie für die Pflege, was die Qualität, die Führung, die Akademisierung, Innovationen und eine professionelle Pflegepraxis betrifft. Das ist etwas, was die Mitarbeiter sich wünschen. Und für diese Strategie ist die Geschäftsführung auch bereit, Geld in die Hand zu nehmen. Das rechnet sich auch!
Und wie kann das Magnetkonzept die Pflegepraxis konkret verbessern?
Indem eine Struktur geschaffen wird, in der Pflege wirksam werden kann. Das bedeutet zum Beispiel, mit dem Bezugspflegekonzept zu arbeiten, Projekte für eine bessere Pflegepraxis durchzuführen und neues Wissen in die Pflege zu bringen. Viele Pflegekräfte wollen heute einen Rückspiegel zur Qualität, also zu den empirischen Outcomes und Daten. Viele wollen auch über den Klinikrand hinausschauen und sind daran interessiert, sich an innovativen Modellen, zum Beispiel zur Nachsorge oder Pflegeüberleitung zu beteiligen. Ganz verkürzt heißt das Magnetkonzept für uns: akademisierte Pflege, evidenzbasierte Pflege und Pflege auf Augenhöhe.
Eine wichtige Rolle spielt beim Magnet-Status, empirische Outcomes zu erheben, wie Sturz-, Dekubitus- oder Infektionsraten. Spielt die Pflegequalität eine Rolle, wenn man gutes Personal binden möchte?
Natürlich, es spiegelt doch auch den Erfolg der Pflege wider. Bei uns im Querschnittzentrum können rund 90 Prozent aller Patienten mit Querschnitt nach Hause entlassen werden und dort selbstständig oder mit wenigen Hilfen leben. Das ist ein Qualitätsindikator! Ich erinnere mich an eine junge Pflegende aus Kroatien, die mit Tränen in den Augen sagte: „Ich bin so stolz, im Querschnittszentrum zu arbeiten! Das ist immer so ein spiritueller Moment, wenn ein Patient nach einem halben Jahr nach Hause entlassen wird. Das ist so ein gutes Gefühl!“ Und dafür strengen sich die Pflegenden an und wollen wirklich etwas Gutes leisten. Wenn man dieses Selbstverständnis stärker in den Mittelpunkt rücken kann, dann sind die Pflegenden auch wieder zufrieden und stolz auf ihren Beruf.
Eine Besonderheit der Magnetkrankenhäuser ist, dass mindestens 80 Prozent der Mitarbeiter in der direkten Pflege einen Bachelorabschluss vorweisen müssen. Wie wollen Sie das erreichen?
80 Prozent werden wir nicht erreichen. Das ist auch ein sehr hoher Maßstab, selbst für US-amerikanische Verhältnisse, die meist nur 40 bis 60 Prozent akademische Pflegekräfte haben. Wir streben derzeit 25 Prozent an. Wichtig ist für die Zertifizierung zum Magnetkrankenhaus, dass man einen klaren Strategieplan hat, wie man die Akademisierung voranbringen kann. Und wenn es uns gelingt, von derzeit acht auf 25 Prozent zu steigern, reicht dies als Kriterium für die Zertifizierung aus.
In Europa ist bislang noch keine einzige Klinik als Magnetkrankenhaus anerkannt. Wie wird es weitergehen mit dem Magnetkonzept in Deutschland?
Tatsächlich gibt es mittlerweile ein europäisches Magnetkrankenhaus. In Belgien ist jetzt die Uniklinik Antwerpen als erste Klinik Europas zertifiziert. Aktuell gibt es das Bewerberverfahren für die Magnet-Studie, an der auch Frau Professor Aiken aus den USA beteiligt ist. Hier haben sich schon 30 Kliniken aus Deutschland beworben, die alle darauf vorbereitet werden möchten, den Magnetstatus zu bekommen. Ich glaube nicht, dass wir in fünf Jahren schon 30 Magnetkliniken haben werden, aber vielleicht in zehn Jahren. Vielleicht haben wir bis dahin aber auch ein deutsches oder europäisches Magnetkrankenhaus- Konzept. Auf diesem Weg ist noch vieles offen. Aber: Entweder wir entwickeln die Pflege nach einer klaren Strategie weiter, oder die Pflege wird der Verlierer sein, weiter abgebaut und auf Hilfstätigkeiten reduziert werden.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Maucher.
Helene Maucherist Pflegedirektorin der RKU – Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm. Im Januar hat der Bundesverband Pflegemanagement sie zur Pflegemanagerin des Jahres 2018 gekürt. Mit dieser Auszeichnung werden Pflegemanager der Top-Ebene ausgezeichnet, die durch nachhaltiges und innovatives Handeln überzeugen, ganzheitlich und ergebnisorientiert denken sowie Vorbildcharakter für andere Manager und Einrichtungen haben.
Text aus: Die Schwester Der Pfleger 57. Jahrg. 6|18
Das Gespräch führte Brigitte Teigeler