Frau Neumann-Lohse, wofür ist ein Pflegestudium notwendig? Welche sind die Vorteile des Pflegestudiums gegenüber der Ausbildung?
Die Pflege braucht auch Menschen, die Pflege studieren. Pflege ist eine anspruchsvolle und komplexe Aufgabe, die besonders gut gelingen kann, wenn Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Professionen mit unterschiedlich ausgebildeten Kompetenzen in möglichst vielen Bereichen zusammenarbeiten.
Menschen, die studiert haben, haben oft besser gelernt und vor allem öfter geübt, Situationen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Sie sind es gewohnt, viele unterschiedliche Informationen aufzunehmen, zu vergleichen und daraus mögliche Lösungen abzuleiten. Mit dieser Fähigkeit können studierte Pflegemitarbeiter meiner Ansicht nach eine wichtige Brückenfunktion zwischen Kunden, Angehörigen, Pflegemitarbeiterinnen und Medizinern oder Wissenschaftlerinnen übernehmen.
Wo sehen Sie die Pflege in zehn Jahren und wo würden Sie sie dann gerne sehen? Was ist Ihre Vision?
Die Frage nach der Pflege in zehn Jahren ist meiner Meinung nach kaum zu beantworten. In Zeiten der Digitalisierung finden Veränderungsprozesse erheblich schneller statt. Was gestern noch galt ist heute fraglich und morgen schon nicht mehr gültig. Wo die Pflege, falls es die Pflege überhaupt gibt, in zehn Jahren stehen wird, ist in hohem Maße davon abhängen, wie wir alle die Pflege gestalten.
Dabei scheint es mir besonders wichtig zu sein, zu verstehen, dass die Dinge sich verändern und dass wir uns mit verändern müssen. Wir brauchen Offenheit gegenüber neuen Ideen. Wir brauchen Mut, Neues auszuprobieren und auch den Mut es wieder zu verwerfen, wenn wir feststellen, dass die Idee nicht gut war. Wir brauchen Flexibilität im Denken und Flexibilität in unseren Prozessen. Und wir müssen verstehen, dass das, was für den einen gut ist, noch lange nicht für den anderen gut sein muss. Wir brauchen kreatives Potenzial, um neues Wissen bewerten und einarbeiten zu können. Wir benötigen eine gut geschulte Fähigkeit zum Perspektivwechsel, um unsere Arbeit konsequent an den Bedürfnissen unserer Kunden ausrichten zu können und diese in Einklang mit pflegerischen Notwendigkeiten zu bringen.
All das ist nicht leicht, zumal neben der fachlichen auch immer die ethische, die soziale und die wirtschaftliche Sichtweise einbezogen werden sollen. Pflege lebt und arbeitet mit Menschen – und das steht an erster Stelle. Ich sehe also jede Menge Herausforderungen in den nächsten zehn Jahren auf die Pflege zukommen. Digitalisierung und demographischer Wandel sind dabei nur zwei von vielen Stichworten.
Ich wünsche mir, dass sich viele Menschen bewegen lassen, diese Herausforderungen anzunehmen und sich mutig in die Aufgaben der Pflege stürzen, um sie zu ihrer eigenen zu machen und so zu verändern, das Pflegende und Gepflegte gleichermaßen zufrieden und gut versorgt sein können. In einem der reichsten und sichersten Länder der Erde sollte dies aus meiner Sicht möglich sein.