Viele Eltern kennen die Situation, aber kaum einer redet darüber: Das Kinderbett in der Früh ist wieder einmal nass, der Nachwuchs wie die Eltern entmutigt. Dass ein zwei- bis dreijähriges Kind noch Windeln braucht, wird niemanden wundern. Was aber, wenn die Einschulung vor der Tür steht oder dem Nachwuchs in der ersten Klasse plötzlich wieder tagsüber ein „kleines Malheur" passiert? Dr. Thomas Woller, Oberarzt am Beckenboden-Kompetenzzentrum der Sana Kliniken Leipziger Land in Borna gibt Tipps, wie Kinder trocken werden können und zeigt Hilfe auf dem Weg dorthin.
Herr Dr. Woller, was sagen Sie Eltern als erstes, wenn Sie zu Ihnen kommen?
Viele Eltern wissen gar nicht, dass ihr einnässendes Kind keine Ausnahme ist – etwa zehn bis 15 Prozent der Sechsjährigen sind noch nicht vollständig trocken. Aber Einnässen ist vielfach noch immer ein Tabuthema. Dafür gibt es jedoch keinen Grund. Weder das Kind noch die Eltern machen etwas falsch.
Worin liegen denn die Ursachen für kindliches Einnässen?
Häufig liegt beim Einnässen eine Reifungsverzögerung zugrunde. So wie nicht alle Kinder zur gleichen Zeit laufen lernen, lernen sie auch nicht zur gleichen Zeit, ihre Blase zu kontrollieren. Weitere Ursachen können falsche Trinkgewohnheiten, eine vermehrte nächtliche Urinproduktion oder soziale Stressfaktoren sein. Mit Schuleintritt kommt ein veränderter Rhythmus hinzu: Die Kinder müssen die Unterrichtsstunde über stillsitzen und können nicht einfach auf die Toilette gehen. Und natürlich gibt es auch organische Ursachen. Diese sollten in jedem Fall umgehend abgeklärt und gegebenenfalls medikamentös behandelt werden.
Wie können Eltern ihre Kinder beim „Trockenwerden" unterstützen?
Zunächst einmal steht das Optimieren der Trink- und Toilettengewohnheiten des Kindes im Mittelpunkt. Viele Eltern lassen im ersten Impuls ihre Kinder weniger trinken. Das ist jedoch genau die falsche Reaktion. Wichtig ist, dass die Kinder vor allem vormittags ausreichend Flüssigkeit zu sich nehmen. Optimal ist ein halber Liter von den Schulpausen bis zum Mittag. Zur Orientierung kann die Menge pro Pause auch mit Strichen an der Flasche gekennzeichnet werden. Über den gesamten Tag hinweg sollte ein Liter Flüssigkeitsaufnahme angestrebt werden, davon bestmöglich dreiviertel bis etwa 17 Uhr. So ist die Urinmenge in der Blase nachts nicht zu hoch.
Sie haben auch vom Optimieren der Toilettengewohnheiten gesprochen. Wie können Eltern das angehen?
Die kindliche Blase kann speziell trainiert werden, indem Eltern Toilettengänge in einem festen Rhythmus einführen. Am sinnvollsten sind fünf feste Zeiten: Morgens direkt nach dem Aufstehen, in der Frühstückspause zwischen 9.00 bis 10.00 Uhr sowie in der Mittagspause zwischen 11.00 bis 12.00 Uhr. Am Nachmittag sollte dann zwischen 15.00 bis 16.00 Uhr nochmals die Blase entleert werden und natürlich abends vor dem Schlafengehen. Ganz wichtig: Lassen Sie Ihr Kind in jedem Fall auf die Toilette gehen, ob es muss oder nicht. Das verbessert die Körperwahrnehmung und die bewusste Steuerung der Blase wird trainiert.
Welche Tipps können Sie für diese Zeit bis zum endgültigen „Trockensein" noch geben?
Reden Sie mit Ihrem Kind offen darüber und beziehen Sie es aktiv mit ein, zum Beispiel wenn die Bettwäsche gewechselt wird. Belohnen Sie trockene Tage und Nächte mit Dingen, die Sie beispielsweise als Familie unternehmen. Und machen Sie ihm bitte keine Vorwürfe. Denn kein Kind nässt mit Absicht ein. Mit einer individuell angepassten Therapie lernen bis zu 80 Prozent der Kinder, ihre Blase zu kontrollieren.