Wenn Schmerzen ihre ursprüngliche Warnfunktion verlieren und zur Dauerbelastung werden, führt dies schnell zu körperlichen Einschränkungen im Alltag. Diese münden möglicherweise in sozialem Rückzug, im Verlust des Arbeitsplatzes und in depressiver Verstimmung. Das alles kann den Schmerz psychisch bedingt verstärken. Wie Psychologen im Rahmen der multimodalen Schmerztherapie helfen können, dies zu vermeiden, erklärt Lydia Fischer. Sie ist Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin am Sana Klinikum Borna.
Was machen chronische Schmerzen mit Betroffenen?
Fischer: Wenn Schmerzen chronisch werden, werden peu à peu alle Lebensbereiche davon beeinträchtigt: Betroffene haben beispielsweise zunehmend ein Problem, ihrem Job nachzugehen, sie vernachlässigen ihre Hobbies und machen immer weniger mit ihrem Freundeskreis. Zudem kann ihre psychische Verfassung beeinträchtig werden. Zunehmender Rückzug und Inaktivität verschlimmern wiederum den Schmerz. Es gibt Menschen, die im schlimmsten Fall dann gar nicht mehr aus der Wohnung gehen und depressiv werden. Über die Zeit wird das ein richtiger Teufelskreis, aus dem viele von alleine nicht mehr herausfinden.
Wie kann man hier helfen?
Weil der chronische Schmerz alle Lebensbereiche beeinträchtigt, muss er auch ganz vielseitig – multimodal – behandelt werden. Das heißt, dass neben der Verschreibung von Schmerzmitteln das Potenzial weiterer Therapien ausgeschöpft wird. Sie helfen den Betroffenen, wieder einen Weg in einen aktiven Alltag zu finden. Im Zentrum für Schmerztherapie am Sana Klinikum Borna arbeiten dafür Anästhesiologen mit der Zusatzbezeichnung »Spezielle Schmerztherapie«, Orthopäden, Neurologen, Neurochirurgen, spezialisiertes Pflegepersonal, Physio-, Ergo- und Ernährungstherapeuten eng zusammen. Und auch wir Psychotherapeuten helfen dabei, dass Betroffene wieder an Lebensqualität gewinnen und Experte ihrer eigenen Krankheit werden.
Wie genau?
In erster Linie verhaltenstherapeutisch. Ziele der psychologischen Schmerztherapie hier im Haus sind u. a. Hilfe bei der Schmerzbewältigung, Verbesserung der Lebensqualität, Schaffung neuer Perspektiven und Unterstützung bei Problemen im Zusammenhang mit sozialen Folgen. Unser Betreuungskonzept bietet dazu eine Kombination aus individuellen Therapiesitzungen und aus Gruppentherapien an.
Verhaltenstherapeuten helfen doch, Ängste zu überwinden. Wie kann Verhaltenstherapie bei chronischen Schmerzen helfen?
Der Umgang mit Schmerzen trägt ganz wesentlich dazu bei, wie Schmerzen empfunden werden. Ändern wir unser Verhalten, ändert sich auch der Schmerz. Schmerzpatienten haben im Laufe der Jahre oft Verhaltens-, Erlebens- und Denkmuster ausgebildet, die das Schmerzerleben begünstigen. Diese Muster gilt es zu verändern, um aus dem erwähnten Teufelskreis auszusteigen.
Wie arbeiten Sie mit Ihren Patienten?
Unser Betreuungskonzept sieht eine Kombination aus individuellen Therapiesitzungen und aus Gruppentherapien vor. In den psychotherapeutischen Einzelgesprächen erarbeiten wir mit den Patienten individuelle aufrechterhaltende oder verstärkende Bedingungen für ihr Schmerzleiden und leiten daraus resultierende Strategien zur Schmerzreduktion ab. Wir müssen viele Betroffene – die sehr oft einen langen Leidensweg hinter sich haben – erstmal »auffangen«. Oft höre ich den Satz: »Alle sagen immer, ich soll mich nicht so anstellen.« Hier braucht es viel Verständnis und Gespräche, die den Betroffenen helfen, mit ihren Schmerzen umzugehen, diese als Teil ihres Lebens zu akzeptieren und trotzdem wieder Lebensqualität zu erlangen. Gemeinsam legen wir die jeweils persönlichen Empfindungs- und Verhaltensmuster offen und suchen Wege für positive Veränderungen.
Und was erarbeiten Sie zusammen in der Gruppe?
Hier wollen wir erklären, was chronische Schmerzen überhaupt sind und weshalb sie anders behandelt werden müssen als akute Schmerzen. Zudem richtet sich das Anliegen unserer Gruppengespräche auf die Besprechung von Selbsthilfestrategien zur aktiven Schmerzbewältigung. Wichtig dabei ist auch der gegenseitige Erfahrungsaustausch unter den Betroffenen. Viele finden hier zum ersten Mal Menschen, die sie verstehen können, die nachvollziehen können, was es heißt, tagtäglich Schmerzen zu haben und die eben nicht sagen »Jetzt stell Dich mal nicht so an, das wird schon wieder«. Wir trainieren sozusagen, wie die Betroffenen überhaupt wieder zu positiven Gedanken kommen und mit dem Schmerz selbstbewusst umgehen.
Wie können Sie noch helfen?
Entspannungstherapien können Menschen, die an chronischen Schmerzen leiden, das Leben erheblich erleichtern. Entspannungstechniken helfen gegen verkrampfte Muskulatur und sorgen für Ruhe und Ausgeglichenheit. Damit können sie auch sehr positive Effekte auf das Schmerzempfinden haben. Wir vermitteln verschiedenste Techniken (Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, Imaginations- und Atemübungen etc.), die unseren Patienten dabei helfen, ihre Körperwahrnehmung zu schulen und ihre muskuläre und innere Anspannung zu reduzieren.