Darmkrebs ist in Deutschland die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache. Dabei kann kaum einer Krebsart so leicht vorgebeugt werden. Denn: 90 Prozent aller Todesfälle an Darmkrebs könnten vermieden werden. Was man dafür tun sollte, erläutert der Ärztliche Direktor und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin Dr. med. René Keller vom Sana HANSE-Klinikum Wismar.
Ist Darmkrebs Schicksal?
Dr. Keller Oft hört man, der oder die habe ja selbst Schuld an seiner Krebserkrankung. Schließlich habe er/sie sich jahrelang viel zu wenig bewegt und außerdem auch noch völlig ungesund gegessen. Dabei ist Krebs nie eine Frage von »Schuld«. Jeder von uns hat ein statistisches Risiko von zirka sechs Prozent, im Laufe seines Lebens an Darmkrebs zu erkranken. Dieses Risiko hängt von einer Reihe von Faktoren wie genetischen Vorbelastungen, Umwelt- und Verhaltenseinflüssen ab, die sich nicht vollständig ausschalten lassen können. Gefeit ist vor Darmkrebs also niemand.
Aber?
Jeder von uns hat es selbst in der Hand, durch die Darmkrebsvorsorge bzw. Darmkrebsfrüherkennung sein persönliches Risiko günstig zu beeinflussen. Darmkrebs fällt nicht vom Himmel, er entsteht meist aus Vorstufen, den sogenannten Polypen. Hierbei handelt es sich um gutartige Tumoren (Adenome), aus denen sich im Laufe der Jahre ein Darmkrebs entwickeln kann. Im Rahmen einer Darmspiegelung etwa können eventuelle Krebsvorstufen (Adenome) entfernt werden. Die Spiegelung des Darms ist bei Verwendung einer „Schlafspritze“ weitgehend schmerzfrei und schon nach kurzer Untersuchungszeit hat man Gewissheit. Sie ist viel verlässlicher als der alternativ angebotene Test auf verborgenes Blut im Stuhl, der heute nur noch als immunologischer Test empfohlen wird. Regelmäßig durchgeführt, lässt sich der Darmkrebs mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit verhindern!
In welchem Alter entsteht Darmkrebs typischerweise?
Darmpolypen und Darmkrebs können in jedem Alter entstehen. Jedoch steigt ab dem 40. Lebensjahr das Risiko der Bildung von Darmpolypen deutlich an. Ab dem 50. Lebensjahr steigt das Darmkrebsrisiko dann für jeden Menschen fast exponentiell an. Menschen mit familiärer Vorbelastung haben ein noch viel höheres individuelles Darmkrebsrisiko.
Wenn Darmkrebs so leicht zu verhindern ist, warum kämpfen Ärzte dann immer noch mit der Akzeptanz der Darmspiegelung?
Das hat mehrere Gründe. Zum einen bereiten Polypen meist keine Beschwerden. Viele Menschen wissen also nicht, dass in ihrem Darm bereits Krebsvorstufen entstanden sind. Und wer lässt sich zum anderen – um es ganz einfach und platt zu formulieren – schon gerne »hinten« reinschauen? Alles was mit dem (End-)Darm und der Verdauung zu tun hat, wird landläufig immer noch als unangenehm und unappetitlich betrachtet. Deshalb ist die Hemmschwelle oft groß und das Thema schambehaftet.
Trifft das auf beide Geschlechter in gleichem Maße zu?
Nein. Interessanterweise ist die Akzeptanz bei Frauen höher als bei Männern. Oft sind es die Ehefrauen, die ihre Männer zur Vorsorge drängen. Mein Appell an die Partnerinnen lautet daher: Lassen Sie sich nicht davon abbringen, allein das frühzeitige Erkennen von Veränderungen im Darm kann die Entstehung von Darmkrebs verhindern, Leben retten und einen langen Leidensweg ersparen. Die Vorsorge gewinnt immer mehr an Bedeutung! Letztlich lässt sich der Vorsorgeeffekt durch eine vitamin- und ballaststoffreiche Ernährung noch steigern.
Wann und wo kann ich eine Vorsorge-Darmspiegelung durchführen lassen?
Sie wird u. a. von unserem Medizinischen Versorgungszentrum oder in besonderen Situationen in unserem Klinikum angeboten. Derzeit werden diese Darmspiegelungen ab dem 55. Lebensjahr alle zehn Jahre (bei unauffälligem Ergebnis) von den Kassen übernommen. Mit Erfolg: Die Zahl der Menschen, die ab dem 55. Lebensjahr an Darmkrebs erkranken, ist seit Einführung der Darmspiegelung um 26 Prozent gesunken. Durch das Erkennen früherer Stadien sind darüber hinaus 21 Prozent weniger Patienten verstorben, diese konnten definitiv geheilt werden.