Wismar

Dr. med. Andreas Wolf - Leiter Adipositaszentrum

Am 4. März begehen wir den Welt Adipositas Tag - Was genau ist Adipositas?
Adipositas ist erstmal nichts weiter als eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Köperfettes. Aber genau dieses Fett macht uns krank – besonders das sogenannte viszerale Fett. Das ist das Fett im Bauch, das die Baucheingeweide umgibt. Dieses Fett sendet krankmachende Botenstoffe, Entzündungsfaktoren und Hormone. Und das macht uns letzten Endes krank. Ist man lange genug adipös wird man also krank.

Ist Adipositas eine Volkskrankheit?
Eine Volkskrankheit ist laut Definition eine verbreitete Krankheit oder halt eine Erkrankung an der viele Menschen in einem Land leiden. Zwei Drittel der Männer in Deutschland sind übergewichtig und über die Hälfte der Frauen. Fast ein Viertel aller sind adipös, haben also einen BMI von über 30. Ja, Adipositas ist eine Volkskrankheit. Nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit. Daher auch der Welt Adipositas Tag.

Welche Ursachen hat Adipositas?
In erster Linie ist es unser westlicher Lebensstil und die ständige Verfügbarkeit von Essen. Vor allem von vielem schlechtem und primär schon verarbeitetem Essen. Dazu zählen in erster Linie Fertigprodukte und das ganze Naschwerk. Maschinen ersetzen schwere körperliche Arbeit. Des Weiteren kann alles per Auto erreicht werden. Jeder hat ein Smartphone in der Tasche und muss nicht mehr zur Telefonzelle laufen. Es gibt überall Fahrstühle, Rolltreppen und kurze Wege. Hat vor 30 bis 40 Jahren ein Mensch noch acht bis zehn Kilometer täglich zurückgelegt, sind es heute ca. 600 bis 800 Meter. Diesen westlichen Lebensstil bemerken vor allem Völker, die vor wenigen Jahrzehnten noch rückständig waren. Im Zuge der Globalisierung hat deren Technisierung und Modernisierung Fahrt aufgenommen. Leider aber auch der schlechte Lebensstil. Diese Länder sind heute teilweise ganz vorn mit der Anzahl an adipösen Menschen. Weiterhin spielt natürlich die genetische Veranlagung auch eine nicht unerhebliche Rolle. Dazu das hektische Leben mit viel Stress und wenig Schlaf.

Kann Adipositas unsere Gesundheit beeinträchtigen?
Wie oben schon erwähnt, sendet das überschüssige Fettgewebe viele krankmachende Faktoren und Hormone über die Blutbahn in den Körper. Hier kommt es zu Gefäßveränderungen, mit zum Beispiel Bluthochdruck als Folge. Weiterhin können die Ausbildung einer Fettleber, der Zuckerkrankheit, der Gicht, einer Fettstoffwechselstörung, Atemprobleme und noch viele weitere Krankheiten genannt werden. Klar ist, dass auch Schlanke krank werden können und eines oder zwei dieser Krankheiten haben können. Aber der Adipöse hat die Wahrscheinlichkeit mehrere Krankheiten auf einmal zu haben. Und das auch schon im jungen Alter. Ich kenne viele „Altersdiabetiker“, die sind keine 40 Jahre alt. Und so hab ich viele Patienten in der Sprechstunde, die zehn verschiedene Medikamente und mehr einnehmen müssen und das auch mehrmals täglich. Viele sagen ironischerweise, die Medikamente wären schon ihr Frühstück, weil es so viele sind. Das meiste, was ich bis jetzt gesehen habe, waren 23 verschiedene Medikamente.

Gut kann das nicht sein ...
Nein. Auf keinen Fall. Keiner weiß ja auch genau, wie die Medikamente interagieren und welche Nebenwirkungen sie machen oder Nebenwirkungen gar summieren oder schlimmstenfalls die eigentliche Wirkung einander abmildern. Doch damit nicht genug. Viele Krankheiten bedeuten auch, dass die Organe krank werden. Und das ist leider nur bedingt mit Medikamenten ausgleichbar. Es kommt dann eher früher als später zum Nachlassen der Organfunktionen und dann zum Organversagen. Heißt im Klartext: Betroffene haben die Wahrscheinlichkeit, früher zu sterben. Statistisch erreicht nur jeder Zweite mit einem BMI über 40 das 70. Lebensjahr. Bei einer mittleren Lebenserwartung, aktuell von fast 81 Jahren, sind das über 10 Jahre früher. Wenn man Patienten damit konfrontiert, bekommen die meisten erstmal einen Schreck.

Ist Adipositas eigentlich heilbar?
Ja, auf jeden Fall. Die Neigung zur Adipositas nicht, die ist ja genetisch bedingt. Aber die Folgen schon. Jeder muss seinen Lebensstil ändern. Für besonders adipöse oder besonders kranke Menschen gibt es auch die Operation als Möglichkeit. Auch die Patienten, die sich operieren lassen wollen oder müssen, müssen ihren Lebensstil ändern.

Wie muss ein adipöser Patient seinen Lebensstil ändern und wo erhält er Beratung oder auch Unterstützung?
Weniger essen und sich mehr bewegen. Ein Spruch, den schon viele gehört haben. Aber mit weniger essen ist nicht zwangsläufig hungern gemeint. Hunger ist ein schlechter Berater. Kalorienreduktion, Essensauswahl, Tagesablauf, Trinkmenge, das ist damit gemeint. Bewegung heißt auch spazieren gehen, Rad fahren, Auto stehen lassen, Fahrstuhl verweigern. Das gilt es individuell nach Alter, Gewohnheiten, körperlichen Möglichkeiten, Arbeitsbelastung, Ausgangsgewicht und Zielgewicht zu analysieren und entsprechende Veränderungen vorzunehmen. Wichtig ist, sich Ziele zu setzten - realistische Ziele. Und diese auch ehrlich zu kontrollieren und die Änderungen dann entsprechend anzupassen. Ansprechpartner Nummer eines ist und bleibt die Hausärztin, der Hausarzt. Des Weiteren gibt es die Krankenkasse, Sportvereine, Ernährungsberater, die Selbsthilfegruppe, das Internet und natürlich unser Adipositaszentrum.

Sie sprachen von Operationen. Welche Möglichkeiten gibt es, Adipositas operativ zu behandeln?
Eine ganze Reihe. Den Standard bilden die Magenverkleinerung oder auch Sleeve-Magen, sowie der Magenbypass. Damit hat man weit über 90 Prozent aller operativen Eingriffe in Deutschland abgebildet.

Und das Magenband ...
… spielt in Deutschland und in Europa heute nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Welche Operation ist für wen geeignet und welche Erfolgsaussichten hat eine Operation?
Das kann man so pauschal nicht beantworten. Laut den Leitlinien sollte es mindestens ein BMI von 35 sein, wenn Begleiterkrankungen vorliegen. Es hängt weiterhin ab vom Ausgangs-BMI, der Begleiterkrankungen wie die Zuckerkrankheit oder bestehendem Sodbrennen. Der Wille zur Änderung des Lebensstils muss erkennbar sein und auch nachgewiesen werden. Was für wen geeignet ist, muss individuell herausgearbeitet werden. Die Patienten müssen dazu auch gut informiert sein. Mit den vielen Vorteilen hat so eine Operation auch seine Nebenwirkungen.

… und die Erfolgsaussichten?
Ach ja, wir schaffen im Schnitt 10-15 BMI-Punkte. Das sind ca. 40 bis 50 Kilogramm. im Schnitt. Wir haben aber auch diverse Beispiele, wo sich Patienten sozusagen halbiert haben. Tolle Leistung. Die Mitarbeit der Patienten ist nicht zu unterschätzen. So machen das viele ganz klasse. Das sehen wir in unseren regelmäßigen Konsultationen in der Sprechstunde. Wer sich nur auf die Operation verlässt, kommt meist nicht weit. Mit dem sinkenden Gewicht und der Einflussnahme der Operationen in den Hormonhaushalt des Magen-Darm-Traktes werden viele Begleiterkrankungen deutlich gebessert oder gar geheilt. So ist der Chirurg heute zur wichtigen Stützte der Diabetesbehandlung geworden. Und wegen der Frage von vorhin. Der Herr mit den 23 verschiedenen Medikamenten hat heute nur noch 7. Das sagt doch alles.

Herr Dr. Wolf, wie viele Operationen haben Sie schon durchgeführt?
Knapp 300.

Seit November 2020 ist das Adipositaszentrum des Sana HANSE-Klinikums Wismar zertifiziert. Warum ist das wichtig?
Ein Zertifikat ist wichtig für die geleistete Arbeit. Diese Anerkennung wurde uns von der Deutschen Gesellschaft zuteil. Es ist ein Zeichen nach außen. Es herrschen noch viele Vorurteile und Fehlinformationen. Mit dem Zertifikat sieht man, dass wir hier gute und hochqualitative Arbeit leisten. Viele gehören in unser Netzwerk und alle legen sich für die Sache ins Zeug. Dazu zählen die niedergelassenen Kollegen und Kolleginnen aller Fachrichtungen, die Reha-Sportvereine, die Ernährungsberater, die Psychiater und Psychologen und nicht zu vergessen unser Team im Sana HANSE-Klinikum Wismar. Ganz wichtig auch die Arbeit der Selbsthilfegruppe. An dieser Stelle nochmals Dank an alle.

Wie können interessierte Patienten Kontakt zu Ihnen aufnehmen?
Zuerst immer zum Hausarzt. Im Ergebnis des Check-up kann erstmal die Situation analysiert und besprochen werden. Auf unserer Homepage finden die Betroffenen dann weitere Informationen und Ansprechpartner. Zum Hörer gegriffen und angerufen oder per E-Mail. Dann gibt es einen Termin in der Sprechstunde, wenn nötig. Oder auch ein Anruf bei der Koordinatorin des Adipositaszentrums, Frau Ortmann, wenn man sich hier und da nicht sicher sein sollte. Kontakt zu den Selbsthilfegruppen ist eine weitere Möglichkeit. Frau Sommer hier in Wismar oder Frau Dunker in Schwerin sind sehr aktiv unterwegs.

Andrea Hoffmann | Leiterin Marketing und Öffentlichkeitsarbeit
Tel. 03841 33-1196 | Mail andrea.hoffmann@sana.de

Sana HANSE-Klinikum Wismar GmbH
Störtebekerstraße 6 | 23966 Wismar
www.sana.de/wismar