Rummelsberg/München

Selbstbestimmtes Leben und Funktionen erhalten – Pionierleistung der Gründungsmütter und –Väter gewürdigt

Contergangeschädigten Hilfswerk Bayern: 60-jähriges Jubiläum in Rummelsberg gefeiert

Die beiden Landesvorsitzenden des Contergangeschädigten Hilfswerks Bayerns, Sylvia Mildner und Antje Jocher (erste Reihe, von links), freuten sich über eine gelungene Veranstaltung, wo auch der letzte Platz im Vortragssaal des Krankenhauses Rummelsberg gefüllt war. (Foto: Uwe Niklas)

Rummelsberg. Der Landesverband Bayern des Contergangeschädigten Hilfswerkes hat ein besonderes Jubiläum gefeiert – nämlich sein 60-jähriges Bestehen. Die Feierlichkeiten unter der Schirmherrschaft von Landrat Armin Kroder fanden im Krankenhaus Rummelsberg statt, das seit 2023 zu den bundesweit zehn Anlaufstellen für Contergangeschädigte zählt.

Landrat Armin Kroder freute sich als ihm die Schirmherrschaft für die Veranstaltung angeboten wurde und fand es toll, dass sich aus allen sieben bayerischen Regierungsbezirken Betroffene nach Rummelsberg aufgemacht hatten. Gleichzeitig lobte er die enge Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen am Krankenhaus Rummelsberg vor allem auch während der Corona-Pandemie. „Aus Sicht des Landkreises war es eine sehr gute Entscheidung der Sana Klinken AG, das Krankenhaus damals zu übernehmen. Insofern möchte ich mich auch bedanken für das tägliche Wirken und dass hier nicht die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht – was damals bei Übernahme alle gedacht hatten“, so Kroder. Das 60-jährige Jubiläum des Landesverbandes stellte er auf eine Stufe mit dem 75-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes. „Ihre beiden Jubiläen werden immer in einem Zuge genannt sein. Die Würde des Menschen ist unantastbar – egal, wo er herkommt, wie er heißt, ob er reich oder arm ist oder ob er eine Behinderung hat“, betonte Kroder. Er lobte in seiner Rede die Pionierleistung der Gründungsmütter und –Väter und betonte, dass „spektakulär viel erreicht wurde“.

In Vertretung von Krankenhaus-Geschäftsführer Frank Stauch verwies Maximilian Herrmanns auf den großen Erfahrungsschatz der Klinik bei der Arbeit mit Menschen mit Behinderung, welche in den 1920er Jahren im Altdorfer Wichernhaus seinen Anfang nahm. „Wir bieten am Krankenhaus Rummelsberg eine lebenslange, ganzheitliche Betreuung von Patienten an“, sagte Herrmanns. Die Gründung des Medizinischen Versorgungszentrums für Menschen mit Behinderung, kurz MZEB, im Jahre 2018 sei ein wichtiger Meilenstein gewesen, um die Versorgungslücke in Mittelfranken zwischen stationärer und ambulanter Behandlung zu schließen. Im MZEB ist seit 2023 auch das Conterganzentrum beheimatet.

Dieter Hackler, Vorstandsvorsitzender der Conterganstiftung, würdigte die Leistung der Eltern der Anwesenden als „großartig“ und „vorbildlich“. „Nach dem Schock Ihrer Geburt haben sie sich zusammengeschlossen, Interessen bekundet, gekämpft und einem großen Industrieunternehmen die Stirn geboten“, verdeutlichte Hackler. „Statt sich in der Betroffenheit zu suhlen, wurde moderne Behindertenpolitik gemacht und mehr Demokratie gewagt. In ganz vielen Punkten sind diese 60 Jahre auch die Leistung Ihrer Eltern.“ Ein derartiges bürgerschaftliches Engagement sei in der damaligen Bundesrepublik einmalig gewesen und habe später auch dafür gesorgt, dass die Politik das Thema anders fokussiert hat und Rentenanpassungen und Ausgleichszahlungen möglich wurden und letztendlich die Conterganstiftung auch nur noch für Contergangeschädigte da gewesen ist. An Sylvia Mildner, die Vorsitzende des Landesverbandes Bayern, gerichtet, schloss Hackler mit den Worten: „Sie sorgen dafür, dass unsere Gesellschaft menschlicher wird und verdienen die Wertschätzung und Anerkennung von allen.“

Udo Herterich, selbst Contergangeschädigter und Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Contergangeschädigter, lobte die Leistung der Gründerväter Georg Löwenhauser und Christian Ruhe. „Diese Menschen sind damals aufgestanden und haben sich gewehrt“, so Herterich, der sich sehr freute, dass die drei Enkelkinder von Christian Ruhe, der im vergangen Jahr verstorben ist, zum 60-jährigen Jubiläum des Verbandes extra angereist waren. Dr. Rudolf Beyer aus dem Kompetenzzentrum Hamburg-Eilbeck sprach von einer „lebensbegleitenden Rehabilitation“ in der es darum gehe, „das selbstbestimmte Leben und Funktionen zu erhalten.“

Nach den Grußworten konnten sich Betroffene und Interessierte bei verschiedenen Ausstellern informieren, aber auch das Angebot von Klinik-Führungen nutzen. Für die Behandlung von Contergan-Patienten hat die Klinik in medizintechnische und diagnostische Ausstattung investiert und in den Patientenzimmern Deckenlift-Systeme eingebaut. Davon konnte sich ebenfalls ein Bild gemacht werden – sowie von der orthopädischen Werkstatt der OrthoTechnik Rummelsberg und den Behandlungsräumen im MZEB. Mit einem künstlerischen und kulinarischen Abendprogramm und weiteren Festrednern endete ein ereignisreicher Tag, der am Morgen mit der Jahrestagung des Verbandes begonnen hatte.

Zum Hintergrund

Das Pharmaunternehmen Grünenthal aus Stolberg bei Aachen hatte das rezeptfreie Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan 1957 auf den Markt gebracht. Anders als die bis dato erhältlichen Schlaf- und Beruhigungsmittel sei sein neu entwickelter Wirkstoff Thalidomid vollkommen gefahrlos, versprach das Unternehmen. Contergan wurde rasch zu einem der am meisten konsumierten Arzneimittel der jungen Bundesrepublik Deutschland. Auch Schwangeren wurde es offensiv empfohlen. Vom Markt genommen wurde Contergan erst Ende 1961 – dank der Hartnäckigkeit eines Hamburger Mediziners, der auf eigene Faust zu den sich häufenden Missbildungen bei Neugeborenen recherchiert hatte.

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