Mit allem Möglichen hatte Sohaila Baptist gerechnet, aber bestimmt nicht damit, Mutter von Zwillingen zu werden. Denn schließlich gehört die 30ig-Jährige zu der Gruppe von Patienten, die an der chronischen Autoimmunerkrankung SLE (Systemischer Lupus Erythematodes) und unter einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz leiden. Unter derart schwierigen medizinischen Rahmenbedingungen ist es für eine Frau so gut wie aussichtslos, ein Kind zu bekommen – von Zwillingen ganz zu schweigen. Schwangerschaft und Geburt gesunder Zwillinge waren für Sohaila Baptist und ihren Mann deshalb auch eine derart große Überraschung, dass sie von einem kleinen Wunder sprachen.
Das ist es auch für Prof. Dr. med. Kirsten de Groot, Chefärztin der Klinik für Nieren-, Bluthochdruck- und Rheumaerkrankungen am Sana Klinikum Offenbach. „Dass eine dialysepflichtige Patientin spontan schwanger wird, ist medizinisch betrachtet schon eine Seltenheit. Dass aber eine Patientin, die zudem noch unter einer chronischen Autoimmunerkrankung leidet, spontan Zwillinge erwartet, grenzt für mein Team und mich an ein wirkliches kleines Wunder. In meiner 14-jährigen beruflichen Laufbahn in Offenbach habe ich erst eine einzige Patientin mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz bis zur Geburt ihres Kindes begleitet. Das ist so selten, dass für mein Team und auch für mich diesmal viel medizinisches Neuland dabei war. Deshalb haben wir mit einer Extraschulung Pflegekräfte und Ärzte gut auf den Fall vorbereitet, um die Patientin optimal zu betreuen.“
Seit ihrem 26. Lebensjahr leidet Sohaila Baptist an SLE und musste dreimal wöchentlich zur Dialyse sowie regelmäßig immunsuppressive Medikamente einnehmen, um die chronische Erkrankung in Schach halten zu können. Ihr war eigentlich klar, dass sie mit ihrer Erkrankung nicht ohne weiteres schwanger werden würde - oder wenn doch, dann als Risikopatientin eventuell mit einer Fehlgeburt rechnen müsste, was leider auch 2018 passiert ist. „Entsprechend groß war anfangs meine Angst nach der überraschenden Diagnose „Sie erwarten Zwillinge“, erzählt Sohaila Baptist. „Dank der optimalen Betreuung durch das Team von Prof. de Groot und durch die Zusammenarbeit mit der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Sana Klinikums Offenbach sowie der Unterstützung durch meinen Mann ging es mir während der gesamten Schwangerschaft tatsächlich wirklich gut.“
Auch Oberärztin Dr. med. Susanne Marek, Leiterin der Geburtshilfe und Pränataldiagnostik in der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Sana Klinikum Offenbach, ist überwältigt von der glücklichen Zwillingsgeburt: „Für unser Team sind Zwillingsgeburten kein außergewöhnliches Ereignis. In diesem Fall haben wir uns aber einer singulären Situation gegenübergesehen, die man nicht so schnell vergisst. Schwangerschaften bei Patientinnen mit einer dialysepflichtigen SLE-Erkrankung gelten, beides für sich alleine schon, als Risikoschwangerschaften und benötigen außer den üblichen gynäkologisch-geburtshilflichen Kontrolluntersuchungen auch sehr engmaschige Ultraschall- bzw. Doppleruntersuchungen, um rechtzeitige Abweichungen in der Entwicklung des Ungeborenen erkennen zu können. Die enge Zusammenarbeit zwischen Rheumatologen, Geburtshelfern, Pädiatern und der Mutter haben den Schwangerschaftsverlauf positiv unterstützt, sodass sich die Kinder im Mutterleib normal und gesund entwickelt haben. Sämtliche Ultraschalluntersuchungen waren unauffällig mit einer zeitgerechten Entwicklung beider Kinder“, resümiert die Oberärztin. „Unser Ziel war es natürlich, dass beide Kinder solange wie möglich im Mutterleib bleiben. In der 34. Schwangerschaftswoche war es dann allerdings soweit. Die Patientin zeigte hohe Blutdruckwerte, so dass man mit dem Elternpaar den Kaiserschnitt für die 34+1 SSW planen musste Der Kaiserschnitt verlief komplikationslos. Beide Kinder wurden aufgrund der Frühgeburtlichkeit auf die Kinderstation aufgenommen. Der Junge wog stolze 1960 Gramm und die Tochter 1830 Gramm.“
„Für solch erfreuliche medizinischen Herausforderungen der modernen Medizin ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit an einem Perinatralzentrum des Level I, wie wir es interdisziplinär in Offenbach erfolgreich betreiben, immer eine Herausforderung“, betont Prof. Dr. med. Christian Jackisch, der Leiter der Frauenklinik am Sana Klinikum Offenbach, „vor allem wenn wir es erfolgreich zu einem guten Ende bringen können.“
Chefärztin Prof. Kirsten de Groot erläutert die medizinischen Hintergründe des einmaligen Falls:
„Die seltene, chronische Autoimmunerkrankung SLE greift aus einer Vielzahl von komplexen Gründen n körpereigenes Gewebe, Haut, Gelenke, Nieren, Gehirn und Lunge an. Wegen ihrer frühzeitigen Diagnose 2016 konnte Sohaila Baptist umgehend behandelt werden, bekam aber 2017 einen zweiten Schub mit Krankheitszeichen an Lunge, Haut und Nieren – typisch für den unberechenbaren, schicksalhaften Verlauf des SLE. Als ihre Nieren schließlich komplett versagten, war die Dialyse unvermeidbar. In der Folge endete 2018 eine Schwangerschaft tragisch mit einer Fehlgeburt. Dies kann durch gleichzeitige Einnahme von bestimmten immunsuppressiven Medikamenten begünstigt worden sein.
Eine Schwangerschaft bei einer SLE-Patientin muss geplant werden, um rechtzeitig vorher auf Medikamente umzusteigen, die während einer Schwangerschaft ohne Schaden für Mutter und Kind eingenommen werden können. Während der Schwangerschaft besteht wegen der hormonellen Umstellung ein erhöhtes Risiko für einen Schub des SLE, weshalb hier engmaschige Verlaufskontrollen von rheumatologischer und nephrologischer Seite erforderlich sind und das einfache Absetzen aller Medikamente keine gute Basis darstellt.
„In der 16. Schwangerschaftswoche haben wir die Betreuung von Sohaila Baptist übernommen und gestaunt, mit welcher Ruhe sie alle Maßnahmen hingenommen hat“, berichtet Prof. de Groot. „Schwangere Patientinnen mit einer Niereninsuffizienz benötigen an sechs Wochentagen jeweils sechsstündige Dialysen. Eine schwierige Belastung, die wir bei Frau Baptist auf fünf begrenzen konnten, da sie noch über eine eigene Urinproduktion verfügt und sich deshalb selbst entwässern kann - ein eher seltener Fall bei Dialysepatienten. Wir mussten daher nicht vor jeder Sitzung genau berechnen, ob sich zwischen zwei Hämodialyse-Behandlungen übermäßig viel Flüssigkeit im Körper angesammelt hat und wieviel wir in einer Dialysebehandlung entziehen müssen, ohne einen Blutdruckabfall mit nachfolgender Durchblutungsstörung des Mutterkuchens zu provozieren.
Dennoch mussten wir die Patientin natürlich sehr engmaschig betreuen und alle zwei Wochen überprüfen, ob sie ihre angepasste Medikation für die SLE-Erkrankung gut verträgt, ihre Hämoglobin- , Eisen- und Phosphatwerte und der Vitaminspiegel in Ordnung und sie und ihre Kinder ausreichend gut mit Mineralien versorgt sind. Gott sei Dank sind alle denkbaren Komplikationen ausgeblieben, von Wachstumsstörungen der Kinder über eine Frühgeburt bis zur Fehlgeburt. Unser selbst gestecktes Ziel, zum Wohl der Kinder mindestens die 29. Schwangerschaftswoche zu erreichen, wurde sogar noch um fast fünfweitere, für die Kinder wichtige Wochen übertroffen. “
KASTEN „SLE und Schwangerschaft“
- Verbreitung: 5 von 100.000 Menschen, meist junge Menschen, oft in der Pubertät, neunmal mehr Frauen als Männer sind betroffen.
- Krankheitsursache: multifaktoriell, in Erforschung
- Auslöser: Infekte, Stress, hohe Sonneneinstrahlung, Veranlagung, Medikamente, weibliche Hormone, Schwangerschaft
- Verlauf: unheilbar; meist in Schüben, dazwischen oft vollständiges Abklingen
- Therapie: immunmodulierende Medikamente zur Regulierung eines überschießenden Immunsystems.
- Schwangerschaft nur in krankheitsruhender Phase unter schwächerer Medikamentierung vertretbar; gute interdisziplinäre Zusammenarbeit von Rheumatologen, Nephrologen und Gynäkologen!
- Große Mehrheit dialysepflichtiger Patientinnen hat keinen Eisprung mehr, sodass eine Schwangerschaft sehr selten ist.