Offenbach

Fachärzte fordern mehr Information und Aufklärung

Adipositas immer noch nicht ausreichend als Krankheit anerkannt

Offenbach, 7. Juni 2017. Die Adipositas gehört zu den größten Volkskrankheiten des 21. Jahrhunderts und stellt unsere Gesellschaft und unser Gesundheitssystem vor riesige Probleme. In Europa hat sich die Zahl der übergewichtigen Menschen in den letzten 30 Jahren verdreifacht, und nach aktuellen Hochrechnungen werden im Jahre 2030 über 50 Prozent der Europäer übergewichtig sein. Dr. med. Sonja Chiappetta, Oberärztin im internationalen Adipositaszentrum am Sana Klinikum Offenbach, beklagt: „Es besteht leider in der Bevölkerung, aber auch bei einem Teil der Betroffenen, ein Informationsdefizit über die schwerwiegenden Folge- und Begleiterkrankungen der Adipositas. Das Verständnis der Krankheit als komplexe und chronische Erkrankung muss deshalb verbessert werden, denn das Wissen über Adipositas und den engen Zusammenhang mit der Entstehung von Diabetes, Bluthochdruck, Schlafapnoe und Krebserkrankungen ist zu gering!“ Leider sei die Situation für Betroffene und Ärzte in Deutschland zudem ausgesprochen unglücklich: Die Regelungen, wann die Krankenkassen welche Kosten für eine Adipositasbehandlung übernehmen, seien regional extrem unterschiedlich und die Bewilligungsverfahren unnötig langwierig und oft unergiebig. Das führe in manchen Fällen zu massiven gesundheitlichen Gefahren für die Betroffenen.

Die Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Adipositaschirurgie und metabolische Chirurgie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (CAADIP) hat deshalb im vergangenen Jahr den Aktionstag „Safe-a-Life“ ins Leben gerufen und dieses Jahr den gesamten Mai zum Aktionsmonat ausgerufen. 2016 wurden an dem Aktionstag 26 Patienten operiert, denen die Kostenübernahme von den Krankenkassen verweigert wurden, obwohl sie alle Voraussetzungen hierfür erfüllten und dringlich behandlungsbedürftig waren.

Das Ergebnis dieses Aktionstages nach einem Jahr lässt sich sehen:
• Alle Operationen konnten komplikationslos durchgeführt werden.
• Neun von zwölf zuckerkranken Patienten brauchen heute keine Diabetestherapie mehr, die anderen drei konnten diese stark reduzieren!
• Lebensbedrohliche Erkrankungen wie Schlafapnoe, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen haben sich  bei allen Patienten deutlich verbessert oder sind gänzlich verschwunden.
• Sieben Patienten, die zuvor keiner beruflichen Tätigkeit mehr nachgehen konnten, arbeiten wieder!
• Die 26 Patienten haben insgesamt über 750 Kilogramm abgenommen.

Chefarzt Prof. Dr. med. Rudolf Weiner und sein Team am Adipositaszentrum in Offenbach unterstützten bereits die Aktivitäten rund um „Safe-a-Life“ im vergangenen Jahr und  schließen sich auch in 2017 den Forderungen der Arbeitsgemeinschaft an. Gemeinsam möchten sie Folgendes erreichen:

 

• Mehr Information zu der Volkskrankheit ‚Adipositas‘ und ihrer gesundheitlichen Gefahren.
• „Entstigmatisierung“ adipöser Menschen.
• Informationen zur leitliniengerechten Stufentherapie.
• Kostenfreier Zugang zur konservativen multimodalen Therapie.
• Keine pauschale Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) bei einer leitliniengerechten Indikation zur übergewichtsinduzierter (metabolischen/bariatrischen) Operation.

Auch im internationalen Adipositaszentrum am Sana Klinikum Offenbach wurde im Rahmen der Aktion in 2016 ein adipöser Patient operiert, dessen Diabetes seit der Operation sich so verbesserte, dass keine Behandlung mehr nötig ist. Dies gilt ebenfalls für die zahlreichen anderen Begleiterkrankungen, die vor der Operation bestanden. Hierzu zählen die Schlafapnoe und der Bluthochdruck. Zudem konnte der Patient sein Gewicht um mehr als 45 Kilogramm reduzieren.

Die Gesamtsituation ist für Prof. Weiner weiterhin allerdings inakzeptabel: Obwohl verschiedene Fachgremien an der aktuellen Adipositas-Leitlinie mitgewirkt und ein Stufenkonzept zur Behandlung der Adipositas entwickelt hätten, sei die Umsetzung einer flächendeckenden Behandlung des Krankheitsbildes derzeit nicht möglich. „Leitliniengerecht müssten – nach Ausschöpfung der konservativen Therapiemöglichkeiten – alle Patienten mit einem Bodymaßindex (BMI) ab 35 bei vorliegenden relevanten Folgeerkrankungen auch eine Operation als Option wählen können. Bei einem BMI von 40 und mehr sogar in jedem Fall.“ Dabei sei die oft geforderte „multimodale“ Therapie, also die Einbeziehung von Ernährungstherapie, Bewegungstherapie sowie psychologischer Beratung und Evaluation unter ärztlicher Betreuung über eine Dauer von sechs Monaten, bereits die erste Hürde. Viele Patienten hätten keinen Zugang zu einer konservativen Therapie, obwohl diese besonders im Anfangsstadium bei Patienten mit Übergewicht oder Adipositas I noch vielversprechend wäre. Für Weiner heißt das: „Dem Krankheitsbild können wir so nicht frühzeitig entgegen wirken, eine weitere Gewichtszunahme ist die sichere Folge und entspricht dem zu erwartenden Verlauf dieser Erkrankung.“ Außerdem könnten sich Patienten bei einer möglichen Erfolglosigkeit der konservativen Therapie in keiner Weise für einen später möglichweise sinnvollen, leitliniengerechten chirurgischen Eingriff qualifizieren.

Des Weiteren bestehe ein grundsätzlicher Mangel an Behandlungsangeboten: „Es fehlen Schwerpunktpraxen, und es stehen nur unzureichend multimodale Konzepte als Kassenleistung zur Verfügung.“ Außerdem mangele es an Therapieplätzen für die geforderte Verhaltenstherapie. Einen großen Teil der entstehenden Kosten müssten –auch einkommensschwache Betroffene – dabei selbst tragen. So wundere es nicht, dass in Deutschland trotz des sehr hohen Vorkommen krankhafter Adipositas, im europaweiten Vergleich nur eine geringe Anzahl an adipositaschirurgischen Operationen durchgeführt werde, nämlich 12 Operationen pro 100.000 Einwohner, im angrenzenden Belgien dagegen fast zehnmal so viele. Dazu kämen die regional uneinheitliche Vorgehensweise der Krankenkassen bei der Übernahme der OP-Kosten und die teilweise extrem langwierigen Bewilligungsverfahren. Weil eine rechtzeitige Operation vorenthalten werde, komme es im Ergebnis mancherorts sogar zu existentiellen gesundheitlichen Risiken für die Betroffenen, ist der Chefarzt des Adipositaszentrums, Prof. Rudolf Weiner, überzeugt.

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