Offenbach

„Offenbacher Modell“ als bundesweites Vorbild einer modernen, ganzheitlich orientierten Sozialpsychiatrie

40-jähriges Jubiläum der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Chefarzt Dr. Till Glauner

Dr. Renate Engfer, Leiterin der Tagesklinik, Vorsitzende und Geschäftsführerin der Psychiatrie-Stiftung Offenbach

Patientengarten

Tagesklinik

Nach langen Diskussionen in der Öffentlichkeit und einem Grundsatzbeschluss der Stadtverordnetenversammlung war es endlich soweit: am 21. April 1981 konnte Prof. Dr. Manfred Bauer als Chefarzt die psychiatrische Klinik am damaligen „Stadtkrankenhaus“ in Offenbach eröffnen. Ein Jahr zuvor hatte er bereits mit interessierten Laien und späteren Klinikmitarbeitern den Verein „Lebensräume“ zum Aufbau eines weit gespannten, komplementären Netzes zur Versorgung psychisch erkrankter Menschen in Stadt und Region gegründet.

Angetrieben von den fortschrittlichen Ideen einer reformierten, wohnortnahen und patientenorientierten Sozialpsychiatrie (siehe Info-Kasten), eröffnete  Bauer die neue Klinik, die sukzessive im Laufe der nächsten Monate erweitert und schließlich mit  80 stationären Betten betrieben wurde. Ein Jahr später eröffnete die Tagesklinik – zunächst mit 18, später mit 20 Plätzen, in der die Patienten, ohne längere Trennung von ihrer gewohnten Umgebung, therapiert werden. 1983 kam eine Werkstatt für behinderte Menschen mit 50 Plätzen hinzu.

Vorwiegend betreut die Klinik Menschen in akuten Krisensituationen, deren ambulante Behandlung bei niedergelassenen Fachärzten an ihre Grenzen gelangt war, um die Diagnosen zu differenzieren, die nächsten Behandlungs- und Rehabilitationsschritte abzuklären und um stationäre Aufenthalte nach Möglichkeit zu vermeiden.

Von Anfang an wurde die Klinik den Bedürfnissen ihrer Patienten dadurch gerecht, dass sie den Menschen mit seinen sozialen Beziehungen und seinem sozialen Kontext in den Mittelpunkt stellt. Sie legt also den Fokus nicht nur auf die Symptome einer Krankheit, sondern auf den Menschen in seiner Gesamtheit. Schon in den 80-er Jahren war Angehörigenarbeit ein wichtiges Einsatzfeld der Offenbacher Psychiatrie. Den Angehörigen und interessierten Laien ist es zu verdanken, dass bis heute das Laienhelferkaffeetrinken in den Räumen der psychiatrischen Klinik stattfindet, sofern es nicht Corona bedingt ausfallen muss.

Bei ihrer Eröffnung war die Offenbacher Psychiatrie keine der sonst üblichen, fachlich und organisatorisch abgesonderten „Anstalten“, sondern eine der wenigen Abteilungen an einem Allgemeinkrankenhaus, und wurde so zum – auch heute noch personell gut ausgestatteten - bundesweiten Vorzeigeobjekt.

1985 hat sich die Klinik vertraglich zur „Sektorversorgung“ für die Stadt Offenbach verpflichtet, was bedeutete, dass sie grundsätzlich keinen Patienten, der psychiatrische Hilfe benötigt, abweist. Allerdings war die Anzahl von 80 Betten für die Versorgung der Stadt überdimensioniert (65 Betten wären ausreichender Landestandard gewesen – 55 Betten auf 100.000 Einwohner). Also nahm die Klinik auch Patienten aus den angrenzenden Kreisgebieten auf, zumal der Landkreis Offenbach bis 2008 ohne eigene psychiatrische Versorgung war und Patienten auf das 50 km entfernte Riedstadt verweisen musste.

Besonders wichtig war allen Chefärzten der psychiatrischen Klinik immer die Teilhabe ihrer Patienten am sozialen Leben in der Gemeinschaft, schon lange, bevor über „Inklusion“ auch nur diskutiert wurde. So organisierte die Klinik regelmäßig gemeinsame Ausflüge, Restaurant-, Zoo-, Museumsbesuche und sogar Reisen ans Meer. Die finanzielle Basis dafür gewährleisten der heute noch existierende Verein „Lebensräume“ unter Vorsitz von Klinikchefarzt Dr. Till Glauner und die von Klinik-Gründungsvater Prof. Bauer 2003 ins Leben gerufene „Psychiatrie-Stiftung Offenbach“.

Dr. Renate Engfer, Leiterin der Tagesklinik, Vorsitzende und Geschäftsführerin der Psychiatrie-Stiftung Offenbach und seit 1986 an der Offenbacher Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie tätig, blickt auf ihre jahrzehntelangen Erfahrungen mit der renommierten Einrichtung zurück: „Schon 1975 hat die deutsche Psychiatrie-Enquete die Gleichstellung von psychisch kranken Menschen mit somatisch Kranken gefordert; die Offenbacher Psychiatrie hat diese Forderung von Anfang an umgesetzt. Seitdem gilt für das gesamte Gebiet von Stadt und Kreis Offenbach unverändert die Regel: Alle behandlungsbedürftigen Menschen – egal ob körperlich oder seelisch krank - betreten die Klinik durch dieselbe Tür.“

Vielfach geändert hat sich im Laufe der Entwicklung allerdings die regionale psychiatrische Versorgungslandschaft außerhalb der Klinik: der Verein „Lebensräume“ hat Wohn-, Arbeits- und tagesstrukturierende Angebote entwickelt, ist im Zuge der Expansion zu einem großen Dienstleistungsunternehmen gewachsen und ist jetzt in der „Stiftung Lebensräume“ aufgegangen.

Prinzipien der Sozialpsychiatrie:

  • Ganzheitliches Menschenbild im sozialen Kontext
  • Heimatstationsprinzip: Aufnahme auf möglichst derselben Station wie zuvor
  • Alle Störungsbilder auf allen Stationen
  • Spezialstationen nur für Suchterkrankungen
  • Differenziertes, störungsspezifisches Therapieangebot