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Schwerpunktprojekt »Demenz & Migration«

In Deutschland leben derzeit etwa rund 22 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Zirka zwei Millionen davon sind älter als 65 Jahre. Einer 2008 veröffentlichten Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) zu Folge weisen Migrantinnen und Migranten ab 55 Jahren höhere Gesundheitsrisiken auf als vergleichbare Gruppen aus der Aufnahmegesellschaft. Dies liegt vor allem daran, dass sie ein höheres Armutsrisiko und einen geringeren sozialen Status haben als andere ältere Menschen. Menschen mit Migrationshintergrund altern daher schneller und ihr Risiko, an einer Demenz zu erkranken, steigt. Zudem fand die Studie heraus, dass der Zugang zur gesundheitlichen Versorgung für Migrantinnen und Migranten schlechter ist. Experten sprechen in diesen Zusammenhang von einer dreifachen Fremdheit bei Migranten - Demenz, Alter und Migration.

Dem aktuellen Trend in der Gesamtbevölkerung folgend, ist davon auszugehen, dass Demenzerkrankungen in den nächsten Jahren auch unter den Migrantinnen und Migranten deutlich zunehmen werden. Vorsichtigen Schätzungen zufolge leben in Deutschland aktuell etwa 150.000 Menschen mit Migrationshintergrund, die eine Demenz haben. 

Daher ist es seitens des Unterstützungssystems dringend erforderlich, Migrantinnen und Migranten und ihre Angehörigen stärker in den Blick zu nehmen und Versorgungsstrukturen zu entwickeln, die auf sprach- und kulturspezifische Bedürfnisse der Betroffenen und ihrer Angehörigen eingehen, um Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zu erleichtern. Dieser Aufgabe möchten wir uns mit unserem Schwerpunktprojekt stellen. 

Hintergrund und aktuelle Situation

  • Rund 22 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben in Deutschland
  • Etwa 2,2 Millionen sind 65 Jahre und älter - davon haben ca. 158.000 eine Demenz 
  • Dreifache Fremdheit bei Migranten: Demenz, Alter und Migration
  • In der Regel altern Migrantinnen und Migranten etwa zehn Jahre früher als die Mehrheitsgesellschaft. Ursachen dafür sind u.a. familiäre und soziale Trennung, niedriges Bildungsniveau, schlechte Arbeits- sowie Wohnverhältnisse,  kein bzw. geringer Zugang zum Gesundheits- und Sozialwesen aufgrund von Sprachdefiziten
  • Rund 98% der pflegebedürftigen Migrantinnen und Migranten werden von ihren Angehörigen im häuslichen Umfeld versorgt und betreut (meist Töchter und Schwiegertöchter) – eine vorübergehende Pflege wird meist zum Dauerzustand 
  • Zur Entlastung ist die Inanspruchnahme von Entlastungs- und Unterstützungsangeboten erforderlich. Aber: Nichtkultursensible Angebote können bzgl. migrationsspezifischer Zugangsbarrieren vonseiten der Migranten nicht in Anspruch genommen werden. Außerdem sind solche kultursensiblen Angebote nicht flächendeckend vorhanden

Problem: Migrationsspezifische Zugangsbarrieren

Migrationsspezifische Zugangsbarrieren umfassen beispielsweise:

  • Sprach- und Kommunikationsdefizite, da nach Eintritt der Demenz die Erkrankten in ihre Muttersprache verfallen (früher Verlust der Zweitsprache Deutsch)
  • Andere gesellschaftliche Krankheitsvorstellungen wie z. B. Scham und Tabuisierung der Demenzerkrankung, wird als Gottes Strafe empfunden
  • Vorurteile gegen Einrichtungen und Personal
  • Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD) als Barriere

Folgen daraus können sein: 

  • Bei Erkrankten:
    • Aggressivität & Depressivität
    • Negative Beeinflussung der Lebensqualität
  • Bei pflegenden Angehörigen:
    • Erreichen | Überschreiten psychischer und physischer Grenzen
    • Soziale und finanzielle Folgen
    • Pflegende werden selbst zu »versteckten« Patienten
    • Trotz der ganzen Überforderungen und Belastungen sind Pflegende nicht bereit, ihre Erkrankten in eine stationäre Einrichtung abzugeben, denn stationäre Angebote sind in vielen Familien noch ein Tabuthema.

Unser Ansatz

Mit unserer täglichen Arbeit verfolgen wir zwei Hauptziele:

  • Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit für Angehörige und Professionelle
  • Entwicklung von weiteren kulturspezifischen Angeboten und Materialien für einen chancengleichen Zugang durch eine multiprofessionelle Zusammenarbeit

Buchempfehlungen | Literaturtipps

  • Viele Welten des Alterns: Ältere Migranten im Alternden Deutschland von Helen Baykara- Krumme (2017) ; ISBN-13: 978-3531183183
  • Lebenswelten von Menschen mit Migrationserfahrung und Demenz von Olivia Dibelius et al. (2015) ; ISBN-13: 978-3456855462
  • Die fremde Seele ist ein dunkler Wald: Über den Umgang mit Demenz in Familien mit Migrationshintergrund von Reimer Gronemeyer et al. (2017) ; ISBN-13: 978-3837927382
  • Demenz bei türkischen Migranten: Darstellung einer Erkrankung, für die man sich nicht schämen muss von Karolin Civirci (2014) ; ISBN-13: 978-3956841675
  • Doppelt verlassen? Menschen mit Migrationserfahrung und Demenz (Praxis, Theorie,Innovation) von Christa Matter et al. (2012) ; ISBN-13: 978-3868631043
  • Neubeginn in der Fremde – Lebenssituation und Identitätskonstruktionen jüdischer Migranten aus der ehemaligen UdSSR von Olga Goldenberg (2011) ; ISBN 978-3838202464
  • Migration und Alter von Liane Schenk et al. (2020) ; ISBN-13: 978-3110560930

Weiterführende Informationen zum Thema »Demenz und Migration« in verschiedenen Sprachen (arabisch, türkisch, russisch, polnisch, deutsch, englisch) finden Sie hier.

Viele Menschen mit Migrationshintergrund, die an Demenz erkranken, fühlen sie sich in ihrem kulturellen Umfeld besonders fremd. Wie man diese Menschen auffängt und wie man ihnen hilft, können Sie in unserem Gesundheits-Blog nachlesen.