Sana Blaubuch

16 S TA R K E MOM E N T E Z N A Für viele Patienten ist diese Strecke kurz, sie können nach der Behandlung wieder nach Hause gehen. Jeder zweite Notaufnahmepatient aller- dings wird stationär aufgenommen, und bei einem Viertel der Notfälle handelt es sich um kritische Krankheitsbilder—schwere Infektionen, Blut- druckentgleisungen, Schlaganfälle, Herzinfarkte. Fast täglich landet der Rettungshubschrauber auf dem Dach der Klinik. Und mehrmals am Tag werden Patienten in lebensbedrohendem Zustand in die Schockräume eingeliefert. Sobald der Ret- tungsdienst einen solchen Notfall meldet, blinken auf dem Bildschirm im Ärzte- und Pflegezimmer rote Lämpchen auf. Freitag um kurz nach elf ist es so weit: Fahr- radsturz. Der 63-Jährige hat unklare Verletzungen und ist nicht ansprechbar. Sofort greift die zu- ständige Pflegerin zum Telefon und löst mit einem einzigen Anruf eine ganze Kaskade von fest vor- geschriebenen Abläufen aus. Wenige Minuten später nehmen Pflegekräfte und Fachärzte das Unfallopfer im Traumaschockraum in Empfang. Jetzt weiß jeder genau, was zu tun ist, jeder Hand- griff ist zigmal trainiert. Nach 20 Minuten ist das Unfallopfer stabilisiert und die Ganzkörper-CT- Diagnostik abgeschlossen. Der Verdacht auf Schädelbruch hat sich zumGlück nicht bestätigt. Kaum eine halbe Stunde später blinken die roten Lämpchen wieder: Diesmal bringen die Rettungssanitäter eine 90-Jährige mit Verdacht auf Schlaganfall, auch sie ist bewusstlos und hat einen Krampfanfall. Wieder läuft die Schock- raumversorgung nach standardisierten Proto- kollen wie ein präzises Uhrwerk—gerade beim Schlaganfall zählt jede Minute. Je schneller die Patientin diagnostiziert und anschließend in der Stroke Unit therapiert wird, desto größer ihre Chance auf Genesung. Leben retten gehört in der Notaufnahme zum Alltag, doch manchmal gelingt das auch nicht. Solche belastenden Situationen reflektiert das Team in Nachbesprechungen ausführlich und sachlich, sagt Kiefl: «Wir müssen akzeptieren, dass es manchmal medizinisch nicht mehr mög- lich ist, dem Tod gegenzusteuern, trotz aller Bemühungen. Ohne diese emotionale Distanz könnten wir hier nicht arbeiten. » Damit aber jeder Arzt, jede Pflegekraft und jeder Assistent im entscheidenden Moment ge- nau richtig reagiert, absolvieren alle Mitarbeiter regelmäßig ein Notfalltraining im Simulationsraum. Geübt wird die Zusammenarbeit in kritischen Szenarien an fernsteuerbaren Puppen aller Al- tersklassen—vom Neugeborenen bis zum über- gewichtigen Erwachsenen. Dank dieses Trainings sind die Teams der Notaufnahme jederzeit in der Lage, sofort von Routine auf Notfall umzu- Psychologie des Wartens Bleierne Zeit Psychologen wissen, dass Menschen mit Schmerzen oder Angst auf sich selbst fokus­ sieren und die Leiden anderer ausblenden. Sie wissen auch, dass Wartezeiten in Not­ situationen länger erscheinen, als sie sind. Außerdem empfinden es vielen als ungerecht, wenn sie nicht in der Reihenfolge ihres Eintreffens drankommen. Je kleiner das Gesund- heitsproblem des Notfallpatienten, desto größer ist der Frust, warten zu müssen. Klingt paradox, hat aber eine psychische Logik. Denn je leichter die Erkrankung, desto geringer empfinden Patienten den Nutzen des langen Wartens auf Hilfe. Die Psychologie kennt aber auch Rezepte, wie lange Wartezeiten besser toleriert werden. Zum Beispiel, wenn sich Menschen schon bei ihrer Ankunft wahrgenommen fühlen. Und wenn sie zeitlich in etwa einschätzen können, wie lang sie voraussichtlich warten müssen. « Egal, wie gravierend die Probleme sind, unsere Aufgabe ist es, diese Menschen auf den richtigen Weg zur Gesundung zu bringen. » Dr. med. Daniel Kiefl, Chefarzt Zentrale Notaufnahme Sana Klinikum Offenbach fig . d Das Team der Notaufnahme muss jederzeit von Routine auf Notfall umschalten können.

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