Sana Blaubuch

aufzubauen und sie als Individuum zu begreifen. Außerdem gibt es auf der Intensivstation einige Zimmer, in denen die Mütter kurz vor der Ent- lassung den Alltag zu Hause üben können. Sie versorgen und pflegen ihre Kinder selbständig, können aber bei Bedarf jederzeit auf professionelle Hilfe zurückgreifen. Mit welchen großen Themen wird sich die Perinatalmedizin in Zukunft zu beschäftigen haben? Schmidt: Für die Geburtshilfe ist das die intrauterine Therapie, also die Behandlung von Krankheiten am ungeborenen Fötus, damit er bis zum opti- malen Zeitpunkt der Geburt in der Gebärmutter bleiben kann. Einiges ist auf diesem Gebiet be- reits möglich, etwa Bluttransfusionen oder die Stabilisierung der Herzleistung, und es gibt auch erste Möglichkeiten, gewisse Fehlbildungen des Fötus in der Gebärmutter zu operieren. Feldkamp: Der größte medizinische Erfolg wäre, Frühgeburten ganz zu vermeiden—doch das bleibt vorerst Utopie. Konkrete Fortschritte in der Neo- natologie ließen sich aber erzielen, wenn durch bauliche Maßnahmen ermöglicht würde, dass Eltern auch auf der Intensivstation jederzeit bei ihren Frühgeborenen bleiben und sich dort in eigene Räume zurückziehen können. In Schwe- den werden solche Konzepte bereits vorbildlich umgesetzt. Rosenbaum: Ich erlebe bei Frühgeburten oft, dass der Kinderwunsch perfekt in die Lebenssituation eingeplant war. Wenn das Kind dann zu früh kommt, zerbricht nicht nur die Illusion vom Wunschkind, sondern der ganze Lebensentwurf der Familie. Die Gesellschaft wird sich künftig mehr mit ihren Idealvorstellungen von Leben auseinandersetzen müssen, und damit, was in der Schwangerschafts- und Geburtsmedizin vertretbar ist. «Die Zukunft der Geburtshilfe ist die Behandlung von Krankheiten am ungeborenen Fötus. » Prof. Dr. Markus Schmidt Lebensrettende Pränataltherapie Der Fötus als Patient Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Medizin machtlos, wenn bei Ungeborenen Erkrankungen und Fehlbildungen diagnos- tiziert wurden. Heute gibt es viele Möglichkei- ten, Erkrankungen des Fötus in der Gebärmut- ter zu therapieren. Am häufigsten werden Medikamente einge- setzt, etwa zur Behand- lung von Herzrhyth- musstörungen oder bei Toxoplasmose, ei- ner Infektionskrankheit der Mutter, die für das Ungeborene lebensbe- drohlich sein kann. Anämie oder Blutun- verträglichkeiten lassen sich mit Bluttrans- fusionen über die Nabelschnur erfolg- reich therapieren. Auch chirurgische Ein- griffe sind zunehmend möglich, meistens ohne großen Bauchschnitt, sondern mit minimalin- vasiver Operationstech- nik. Dabei operieren spezialisierte Ärzte mit winzigen Geräten durch wenige Millimeter dün- ne Röhrchen, die von außen in die Gebärmut- ter eingeführt werden. Auch der «offene Rücken» (siehe unten) lässt sich mit dieser Operationstechnik erfolgreich behandeln, ebenso das Zwillings- transfusionssyndrom —eine Ernährungs- und Durchblutungs- störung bei eineiigen Zwillingen, die unbe- handelt in vielen Fällen tödlich verläuft. Die vorgeburtliche Chi- rurgie ist noch sehr neu und fast immer auch mit Risiken verbunden. Deshalb muss jede einzelne Operation von einer Ethikkommission genehmigt werden. fig.: Der offene Rücken (Spina bifida) ist eine der häufigsten Behinderungen bei Neugeborenen und äußert sich in einer Vorwölbung, an der das Rückenmark nach außen tritt. Die Fehlbildung des embryonalen Neuralrohrs führt in schweren Fällen zu Querschnittslähmung, gestörten Blasen- und Darmfunktionen, vielfach auch zum Wasserkopf. Mit einem fetalchirur- gischen Eingriff kann ein Fortschreiten der Nervenschädigungen recht- zeitig vermieden werden. Zerebrospinal- flüssigkeit Wirbelsäule Rückenmark M a r k u s S c h m i d t / t h o r s t e n r o s e n b a u m / a x e l f e l d k a m p 2 0 11 21

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