Es ist paradox: Die Tage werden wieder länger, die Natur erwacht aus der Winterruhe und dennoch fühlen sich viele müde, schlapp und missmutig. Geschätzt leidet jeder zweite an Frühjahrsmüdigkeit. Was dahinter steckt und was hilft, wieder in Schwung zu kommen, erklärt Dr. Uwe Müller, stellvertretender Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Schlafmediziner an den Sana Kliniken Leipziger Land.
Noch im Winterschlaf? Möglicherweise ist die Frühjahrsmüdigkeit ja Ausdruck eines winterlichen Energiesparmodus. In früheren Zeiten war es ja durchaus sinnvoll, den nahrungsarmen Winter durch ressourcensparende Ruhe zu überstehen. Ein solcher Sparmodus hätte in Zeiten des Überflusses allerdings längst seine Bedeutung verloren. Lediglich das psychologische Bedürfnis nach einem winterlichen Rückzug ins gemütliche Heim kann da noch als Erinnerung herhalten. Lange Zeit stand auch ein Vitamin- und Mineralstoffmangel aufgrund des eintönigen winterlichen Speiseplans in Verdacht, die Müdigkeit zu verursachen. Aber auch diese Erklärung trägt nicht mehr, wenn Supermärkte eine vitaminreiche, gesunde Ernährung das ganze Jahr über sichern.
In der dunklen Jahreszeit auf Schlaf programmiert
So ganz ohne Einfluss auf den Körper ist der Winter aber auch in einer wohlhabenden Gesellschaft nicht. Schließlich ist das Phänomen Frühjahrsmüdigkeit vor allem in Regionen verbreitet, in denen mit den Jahreszeiten die Temperatur- und Lichtverhältnisse wechseln. Und so veränderte sich der Fokus in der Erklärung von der Ernährung auf den Faktor Licht und seinen Einfluss auf die Hormonproduktion. „Was uns im beginnenden Frühjahr zu schaffen macht, ist ein Ungleichgewicht zweier Botenstoffe: dem Melatonin und dem Serotonin“, erklärt der Experte. Melatonin, das Schlafhormon, steuert den Tag-Nacht-Rhythmus. Wird es dunkel, strömt der Botenstoff ins Blut. Er sorgt für Müdigkeit und erholsamen Schlaf. Serotonin ist dagegen ein Hormon, das durch Tageslicht aktiviert wird. Es bringt Energie und gute Laune. „Der Lichtmangel im Winter führt dazu, dass wir einen Überschuss an Melatonin ansammeln“, sagt Dr. Müller. „Wenn im Frühjahr die Sonne zurückkehrt, dauert es aber noch eine Weile, bevor der Überschuss abgebaut ist.“
Runter vom Sofa
Diesen Abbau können Frühjahrsmüde kräftig unterstützen. Allerdings hilft es dabei wenig – anders als bei der Müdigkeit am Ende eines anstrengenden Tages –, dem Schlafbedürfnis nachzugehen. Die Zaubermittel heißen, auch wenn es schwer fällt, Sonne und Bewegung. Sie bringen die Melatonin-Vorräte zum Schmelzen und den Kreislauf in Schwung. Müller rät: „Ab in die Sonne, denn Tageslicht baut Melatonin ab und kurbelt die Produktion des Gute- Laune-Hormons Serotonin an.“ Helfen können auch frisches Obst und Gemüse. Denn auch wenn es nicht mehr darum geht, den Vitaminspeicher aufzufüllen, Äpfel, Birnen und Co. unterstützen den Stoffwechsel und stärken das Immunsystem. Last but not least: „Runter vom Sofa!“, so Müller. „Spazierengehen, Walken, Joggen: Ausdauersport – am besten im Freien – bringt den Kreislauf in Schwung, fördert die Serotoninproduktion. Kneipp, Wechselduschen, Saunabesuche trainieren die Gefäße und beugen Wetterfühligkeit vor.“