Etwa jede dritte Frau in Deutschland leidet zumindest gelegentlich an unkontrolliertem Harnverlust. Im höheren Lebensalter ist sogar die Mehrzahl der Frauen betroffen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Erkennung und Therapie ist im ersten Schritt das offene und vertrauensvolle Gespräch mit einem spezialisierten Arzt, bestmöglich in einem zertifizierten Beckenboden-Kontinenzzentrum. In vielen Fällen können konservative Verfahren, wie medikamentöse Behandlung, Physiotherapie, Miktionstraining, oder auch Verhaltensumstellungen bereits eine Besserung herbeiführen. Dr. Eva-Maria Robel, Leitende Oberärztin des Beckenboden-Kontinenzzentrums der Sana Kliniken Leipziger Land in Borna, erläutert welche operativen, meist minimalinvasive, Eingriffe helfen, wenn die konventionelle Therapien doch erfolglos bleiben.
Frau Dr. Robel, wenn konservative Behandlungsmethoden nicht erfolgreich sind, welche operativen Verfahren stehen den Betroffenen zur Verfügung?
Die Auswahl des passenden Operationsverfahrens richtet sich nach den Ergebnissen der verschiedenen Untersuchungen. Bei Senkungsleiden der vorderen und/oder hinteren Scheidenwand kann man die Scheidenwände rekonstruieren und „raffen“, bei Senkung der Gebärmutter oder des Scheidenstumpfes können diese an bestimmten festen Bandstrukturen im kleinen Becken fixiert werden. Der Einsatz von Gewebeersatz in Form von Netzen eröffnet insbesondere im Fall einer erneuten Senkung eine gute Möglichkeit der Stabilisierung. Die Verwendung von Fremdmaterial muss jedoch sorgfältig abgewogen werden. Bei einer Belastungsinkontinenz hingegen kann zum Beispiel eine sogenannte Schlingen-Operation zur Kontinenz führen. Dabei wird ein Kunststoffband spannungsfrei unter der Harnröhre platziert. Es unterstützt den Harnröhrenverschlussdruck und verhindert damit den ungewollten Urinverlust. Der Eingriff ist minimalinvasiv und hat sich als schonende und erfolgreiche Methode etabliert.
Immer wieder hört man auch von der Umspritzung der Harnröhre mit Hydrogel oder Silikon…
Mit der paraurethralen Injektionstherapie von sogenannten „Bulking agents“ steht uns heutzutage eine weitere Option zur Behandlung der weiblichen Belastungsharninkontinenz zur Verfügung. Durch die Injektion entsteht eine „Kissen“ unter der Schleimhaut der Harnröhre, was zu einer Verbesserung der Verschlussfunktion führt. Auch wenn die Erfolgsrate mit 60 Prozent deutlich geringer ist als bei den Schlingenoperationen, hat diese Methode aufgrund der Minimalinvasivität und geringen Komplikationsmöglichkeiten einen Platz in der Therapie der Belastungsharninkontinenz.
In Ihrem Beckenboden-Kontinenzzentrum implantieren Sie auch Blasenschrittmacher. Für welche Patientinnen ist diese Art der Therapie geeignet?
Ist die konservative Therapie bei Dranginkontinenz nicht erfolgreich, entwickeln sich ausgeprägte Nebenwirkungen oder bestehen Kontraindikationen für eine anticholinerge Therapie, gibt es die Möglichkeit der sogenannten sakralen Neuromodulation bzw .-stimulation. Dabei handelt es sich um einen Blasenschrittmacher, der elektrische Impulse an den 3. oder 4. Sakralnerv abgibt. Dieser wird beispielsweise bei einer überaktiven Blase oder einer Blasenentleerungsstörung ohne Abflusshindernis eingesetzt, aber auch bei Stuhlinkontinenz, einer chronischen Verstopfung oder chronischem Beckenschmerz. Die Therapie läuft in zwei Phasen: Es werden ein bis zwei Elektroden vom Rücken aus durch das Kreuzbein in die Nähe der Sakralnerven S3 oder S4 gebracht. Dies erfolgt minimalinvasiv. Der Impulsgeber befindet sich in der Testphase außerhalb des Körpers. Verläuft die Testphase erfolgreich, das heißt, wird eine Reduktion der Inkontinenzepisoden und der Toilettengänge, eine Reduktion der Vorlagen und Zunahme der Blasenkapazität erreicht, erfolgt in einer zweiten Operation die Implantation des Schrittmachers.