Ist die Rede vom Schlaganfall, denkt man allgemein zuerst an Muskelschwäche und Lähmungen einer Körperhälfte. Eher »unsichtbare« Folgen in den Bereichen Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Gefühlsleben und Verhalten wurden lange Zeit kaum beachtet. Mittlerweile ist die Diagnostik und Therapie solcher Symptome durch einen Neuropsychologen fester Bestandteil der Reha-Maßnahmen bei einem Schlaganfall. Worauf es dabei ankommt, das erläutert Katrin Becker, Diplompsychologin und Psychotherapeutin in Ausbildung am Sana Klinikum Borna.
Bei einer Schlaganfalltherapie denkt man zunächst an Dinge wie Verlust des Sprachvermögen oder Einschränkungen der Motorik. Wo und wann kommt der Psychologe ins Spiel?
Becker: Es hat eine Weile gedauert, aber man hat in den letzten Jahren erkannt, dass eine gute Therapie in den Bereichen Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Gefühlsleben und Verhalten den gesamten Erfolg der Reha-Maßnahmen maßgeblich mitbestimmt. So ist der Patient durch eine höhere Konzentrationsfähigkeit besser in der Lage die Physiotherapeutischen und logopädischen Behandlungen mitzumachen und erlangt mehr Selbständigkeit zurück. Daher dienen die Therapien nicht zuletzt zur Unterstützung der beruflichen Reintegration nach einem Schlaganfall.
Was genau machen Neuropsychologen?
Neuropsychologen kennen sich mit den komplizierten Strukturen und Funktionen des Gehirns bestens aus und könne so gezielte Therapiemaßnahmen für die Patienten entwickeln. Ziel der neuropsychologischen Diagnostik sind Aussagen über die Art, Ausmaß und Entwicklung von Störungen im Leistungs- und Persönlichkeitsbereich sowie die emotionale Reaktion des Patienten auf diese Störung. Dabei sind jedoch nicht nur die Defizite des Patienten im Fokus, sondern auch dessen Ressourcen, um diese zur Kompensation evtl. Defizite nutzen zu können. Von daher ist es hilfreich, bereits im Akutkrankenhaus mit der Diagnostik, aber auch mit der neuropsychologischen Therapie zu beginnen.
Worum geht es in der neuropsychologischen Therapie?
Wir diagnostizieren zum einen schlaganfallbedingte Hirnleistungsstörungen. Zum anderen entwickeln bzw. übt man zusammen mit Schlaganfallpatienten Strategien im Umgang mit diesen Störungen. Das kann z. B. der Einsatz von Tagebüchern bei leichten Gedächtnisstörungen sein. Patienten mit Aufmerksamkeitsstörungen lernen systematisch, ihre Aufmerksamkeit nur auf eine Aufgabe zu richten, sich nicht ablenken zu lassen um über immer längere Zeiträume konzentriert arbeiten zu können. Bei Gesichtsfeldeinschränkungen oder der Vernachlässigung einer Raumhälfte wird der Patient trainiert, auch diesen Bereich systematisch mit seinen Augen abzusuchen, um Objekte in der Umwelt wahrzunehmen. Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Arbeit ist die Auseinandersetzung mit der emotionalen Befindlichkeit Betroffener. Hier haben wir es vorrangig mit depressiven Anpassungsstörungen zu tun. Hier gilt es, Patient(inn)en bei der Krankheitsverarbeitung hilfreich zur Seite zu stehen.
Beziehen Sie auch Angehörige in Ihre Arbeit mit ein?
Ja. Denn auch für diese kommen häufig große Veränderungen zu. So stellen sich nach einem Schlaganfall nicht selten Persönlichkeitsveränderungen ein. So kann beispielsweise ein bisher wenig aggressiver Mensch durch einen Schlaganfall plötzlich sehr reizbar sein. Wichtig ist daher, Angehörige dafür zu sensibilisieren, Schlaganfallrekonvaleszenten in ihrer Körperwahrnehmung zu bestärken. Signalisiert dein betroffener ein ‚Ich kann nicht mehr!‘ dann sollte man nicht versuchen, ihn mit einem ‚Mach weiter!‘ zu pushen, sondern ihn darin bestärken, sich zurückzuziehen und eine Pause einzulegen. So sind Patienten nicht permanent erschöpft und auch emotionaler Zündstoff entsteht gar nicht erst.
Was ist sonst noch wichtig?
Insgesamt ist auch die Zeit ein wichtiger Faktor für unsere Patienten. Nach einem Schlaganfall braucht das Gehirn eine gewisse Weile um sich neu zu organisieren. Wichtig ist die Motivation des Patienten zu »seiner Rehabilitation« und das aktive Mitmachen in den verschiedenen Therapien, dann werden gute Fortschritte wahrscheinlich.