»Ihre Wunde in unseren Händen«: So lautet das Motto des diesjährigen Gefäßtages am 25. September. Die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin nimmt damit eine Situation in den Fokus, die für viele Betroffene sehr quälend ist. Warum eine Wunde nicht abheilt und wie ein erfolgsversprechender Behandlungsansatz aussieht, darüber spricht Dr. Thomas Bürkigt, leitender Oberarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, MIC- und Gefäßchirurgie und Leiter des Zentrums für Gefäßmedizin an den Sana Kliniken Leipziger Land.
Eine Wunde, die nicht heilen will, ist eine belastende Situation. Mit welchem Leidensweg kommen die Patienten in die Klinik?
Bürkigt: Wir sehen Patienten, deren Wunden zum Teil schon langjährig bestehen. Oft haben sie bereits eine Odyssee an Behandlungsversuchen hinter sich und kaum noch Hoffnung auf Besserung. Viele Betroffene sind älter und leiden unter Nebenerkrankungen, die teils mit der Wundheilungsstörung im Zusammenhang stehen. Häufig haben sie sich aus dem sozialen Leben zurückgezogen, weil sie die Situation als stigmatisierend erleben. Wir haben es also mit einer Gemengelage aus medizinischen und sozialen Aspekten zu tun. Aus diesem Grund ist es so wichtig, neben der Wunde die gesamte gesundheitliche Situation des Betroffenen in den Blick zu nehmen. Das geht nur mit einem multiprofessionellen Ansatz, der die ärztlich-medizinische Seite genau so betrachtet wie die pflegerische und die soziale, und der eine langfristige Versorgung über den Klinikaufenthalt hinaus mitdenkt. Die gute Nachricht ist, dass wir mit einem solch breit angelegten Behandlungskonzept eine gute Chance haben, auch langjährige chronische Wunden zum Abheilen zu bringen.
Sie sagten, dass viele chronische Wunden, die Sie und Ihr Team in der Klinik behandeln, bereits über einen langen Zeitraum bestehen. Welche Risiken birgt eine unbehandelte chronische Wunde?
Eine Wunde heilt in Phasen. Das ist ein ganz natürlicher Reparaturprozess, der dazu führt, dass das beschädigte Körpergewebe entweder wiederhergestellt oder durch Narbengewebe verschlossen wird. Das hat jeder schon einmal beobachten können, der sich in den Finger geschnitten hat. Vereinfacht gesagt: Zuerst blutet die Wunde, dann bildet sich ein Schorf, dann wachsen vom Wundrand her neue Hautzellen und verschließen die Wunde mit Narbengewebe. Bei einer chronischen Wunde ist das im Prinzip nicht anders, mit dem Unterschied, dass die Heilung in einem bestimmten Stadium verharrt. Für dieses Verharren gibt es einen Grund, der dann auch Ausgangspunkt für die Behandlung ist. Bleibt dieser Zustand unbehandelt, werden die Wunden immer größer und es drohen Wundinfekte, wenn beispielsweise Bakterien in die Wunde und Haut eindringen. Schlimmstenfalls droht eine Blutvergiftung.
Wie sieht die Behandlung aus?
Wenn eine Wunde nicht heilt, hat das wie schon erwähnt eine Ursache. Das können Grunderkrankungen sein, die zu einer Unterversorgung des Wundgebiets mit Sauerstoff und Nährstoffen führen − beispielsweise gefäßbedingte Durchblutungsstörung in den Venen oder Arterien, eine eingeschränkte Herz- oder Nierenleistung. Auch Autoimmun- und Hauterkrankungen können die Wundheilung stören. Wenn Patienten zu uns kommen, liegt unsere Aufmerksamkeit darauf, das herauszufinden und die Grunderkrankung zu behandeln, vor allem die Durchblutung im Wundgebiet zu verbessern. Wir können beispielsweise Krampfadern behandeln, arterielle Gefäße rekonstruieren oder mit einem Draht oder Ballon stabilisieren und vieles mehr. Die Behandlung richtet sich nach der Art der Grunderkrankung. Dafür arbeiten wir mit den Kollegen der anderen Fachkliniken zusammen. Neben uns Gefäßspezialisten sind das vor allem die Fachärzte und Fachärztinnen für Innere Medizin und Hautkrankheiten. Parallel zu der so wichtigen Behandlung der Grunderkrankung wird natürlich auch die Wunde spezifisch versorgt. Auch dafür braucht es ein multiprofessionelles Team, zu dem vor allem zertifizierte Fachpflegekräfte und Wundmanager gehören. Die Wundbehandlung beginnt meist mit der Säuberung der Wunde. Dafür haben wir verschiedene Verfahren. Beispielsweise können wir eine Wunde chirurgisch, biomechanisch oder ultraschallgestützt säubern. Die Verfahren lassen sich auch miteinander verknüpfen. Je nach Wundheilungsphase lässt sich die Wundheilung mithilfe verschiedener Verbandstechniken unterstützten. Nicht zu Letzt bleibt die Möglichkeit der Hauttransplantation oder des Einsetzens von Kunsthaut, um die Wunde zu schließen.
Das klingt, als ob man mit einfachen Mullbinden und Pflaster bei einer chronischen Wunde nicht sehr weit kommt. Welche Rolle spielt das Verbandsmaterial?
Tatsächlich unterscheidet sich die Versorgung von chronischen Wunden sehr stark von der Behandlung einer einfachen, komplikationsfreien akuten Wunde, wie beispielsweise der schon erwähnten Schnittwunde. Unter einer modernen Versorgung chronischer Wunden versteht man eine feuchte Wundversorgung, und zwar ohne Mullbinden. Stattdessen werden Hydrofaserkompressen oder spezielle Meeresalgenkompressen in die Wunde eingelegt. Diese Kompressen sehen im trockenen Zustand aus wie ein Stück Vlies und saugen das Wundsekret auf. Darüber kommt ein spezieller mikroporöser, atmungsaktiver Deckverband aus PU-Schaum. Diese Verbandstechnik minimiert die Wundschmerzen oder auch die Schmerzen beim Verbandswechsel. Hinzukommt, dass durch die Verbandsintervalle länger sind. Man muss den Verband nicht jeden Tag wechseln. Was das Verbandsmaterial betrifft arbeiten wir eng mit dem Sanitätshaus Helmut Haas an unserem Haus zusammen. Ein weiterer wichtiger Teil der Wundversorgung ist die fotografische Dokumentation der Wundentwicklung, so dass wir und der Patient genau nachvollziehen können, wie der Prozess ist.
Wie lange dauert eine solche Behandlung?
Das kommt natürlich sehr auf die Art und Größe der Wunde an, auf die Ursachen und darauf, wie lange die Wunde schon besteht. Es ist langwierige Sache, aber mit guten Erfolgsaussichten.
Sie haben gesagt, dass viele Patienten älter sind und unter Nebenerkrankungen leiden. Das heißt, bestimmte Risikofaktoren für chronische Wunden bleiben. Wie geht es nach Entlassung aus der Klinik weiter?
Unser Wundteam organsiert zunächst einmal alles, damit der Patient die Klinik rundum gut versorgt verlässt. Dazu gehören neben den medizinischen, pflegerischen und sozialen Aspekten beispielsweise auch eine Schuhversorgung oder eine Versorgung mit Kompressionsstrümpfen. Darüber hinaus bereiten die Kolleginnen die Überleitung des Patienten an eine Wundschwester vor, die den Patienten ambulant weiterbetreut. Zudem haben wir eine Wundsprechstunde für die Nachsorge. Eine chronische Wunde ist häufig etwas, was man sich dauerhaft immer wieder anschauen muss.