Unser Rücken ist ein wahrer Alleskönner. Mit einem ausgeklügelten Zusammenspiel von Rumpfmuskulatur und knöcherner Wirbelsäule samt Bandscheiben sowie Bandapparat hält er uns aufrecht, trägt einen Großteil unseres Gewichtes, sorgt für Stabilität und Beweglichkeit und bestimmt die Ausstrahlung eines Menschen. Dennoch berichten etwa 50 Prozent der 30 bis 50-jährigen Erwachsenen über gelegentliche oder häufigere Rückenschmerzen. In dieser Woche ist der Tag der Rückengesundheit, und wir wollen diesem Körperteil besondere Beachtung schenken. Wir sprachen mit den Experten Dr. Sebastian Katscher, Leitender Arzt für den Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie und Dr. Jochen Helm, Leitender Arzt für den Bereich Neurochirurgie vom Interdisziplinären Wirbelsäulenzentrum und der Neurotraumatologie am Sana Klinikum Borna, darüber, was den Rücken fit hält und was gegen das Ziehen im Kreuz hilft.
Was hält den Rücken gesund?
Prinzipiell kann man sagen, Bewegung ist Heilung. Und alles, was Heilung bedeutet, ist auch prophylaktisch gesund. Zudem ist der Drang nach Bewegung ein Grundbedürfnis von uns Menschen, zumindest für die meisten von uns. Das können wir aus ärztlicher Sicht nur unterstützen. Bewegung geht im wahrsten Sinne des Wortes beim Gehen oder Spazieren los und durchlüftet in stressigen Zeiten die angespannte Seele, ist gut für den Kreislauf und unter vier Aspekten positiv für unser Muskel- und Skelettsystem und somit für den Rücken: Sie stärkt 1. die Muskulatur, 2. lockert sie Verspannungen, 3. trainiert sie Koordination, und sie verhindert 4. Übergewicht.
Sie sprachen über Bewegung. Sind leichte Rückenschmerzen nach Sport schon ein Grund zur Besorgnis?
Keineswegs. Wer Sport treibt, kennt Muskelkater. Den gibt es auch im Rücken. Und na klar, kann man sich beim Sport auch mal den Rücken zerren oder überlasten, was nicht schlimm ist. Aber deshalb ist es wichtig, wenn man nun aus Gesundheitsbewusstsein anfängt, Sport zu treiben, die Belastung und Dauer schrittweise zu steigern. Gleiches gilt auch, wenn Sie durch Verletzungen oder Krankheiten mal pausieren mussten oder wenn man nach Zeiten wie dieser, in der sämtliche Fitnessstudios und Sportvereine geschlossen sind, wieder das zuvor gewohnte Training aufnehmen möchte. Dann sollten Sie nicht beim ursprünglichen Level starten, sondern zum Beispiel mit geringeren Gewichten und Wiederholungen oder kürzeren Laufeinheiten wieder neu beginnen, sonst können Überlastung und Rückenschmerzen auftreten. Harmonisch ausgeglichene Übungen mit Dehnung und Kraftaufbau für Arme, Beine und Rumpf kann ich dabei nur empfehlen. Wer Lust hat, kann sich eine kleine Zusammenstellung von Übungen auf unserer Website anschauen und mitmachen. Speziell für die Wirbelsäule ist es hierbei wichtig, ein Gleichgewicht von Bauch-, Flanken- und Rückenmuskulatur zu erzielen, da diese in ihrem Zusammenspiel unsere Wirbelsäule entlasten und stabilisieren. Die Bauchmuskeln stellen dabei einen wichtigen Gegenpart und gleichzeitig Mitspieler der Rückenmuskeln dar.
Welche Sportarten würden Sie Menschen empfehlen, die öfters über Rückenschmerzen klagen oder vielleicht sogar schon diagnostizierte Rückenerkrankungen haben?
Zu empfehlen ist Nordic Walking, wo durch den gezielten Einsatz der Stöcke und Arme diagonale Muskelketten über die Mitte des Rumpfes angesprochen und aktiviert werden. Ebenso ist Wandern und Joggen auf weichem Boden mit zu den eigenen Füßen passenden ordentlichen Laufschuhen gut. Beim Radfahren sollte man, insbesondere wenn man gelegentlich Probleme im Nacken und oberen Rücken hat, darauf achten, dass der Hals nicht überstreckt werden muss und deshalb der Lenker nicht zu tief eingestellt ist. Bei Beschwerden im unteren Rücken kann eine dämpfende Sattelstütze helfen. Auch Schwimmen, insbesondere Kraulen, ist gesund, weil durch den Auftrieb des Wassers Wirbelsäule und Gelenke entlastet werden. Den Mythos, dass Brustschwimmen Gift für Menschen mit Rückenschmerzen sei, kann ich nicht unterstützen. Sie sollten jedoch aufpassen, dass der Rücken im Wasser nicht durchhängt und auch hier der Nacken nicht überstreckt wird. Im Zweifel hilft Ausprobieren. Absolut gut sind Pilates und Yoga. Besonders anspruchsvoll sind Klettern und Bouldern, wobei in spezieller Weise Kraft und Koordination des ganzen Körpers trainiert werden. Sehr zu empfehlen und in mancher Hinsicht nicht minder anspruchsvoll ist auch Tanzen, was sich gleichzeitig durch die Geselligkeit positiv auf unser Wohlbefinden auswirkt. Ungünstig bei Rückenbeschwerden sind Sportarten mit abrupten Bewegungen unter hoher Muskelanspannung und häufiger Überstreckung des Rückens. Dazu zählen Kampfsportarten, aber leider auch Squash, Badminton und Tennis.
Wann sollte man wegen Rückenschmerzen einen Arzt aufsuchen?
Zunächst ein Fakt: Die absolut überwiegende Mehrzahl der Rückenschmerzen liegt ursächlich in unserer zum Teil unergonomischen Arbeits- und Lebensweise, mit zum Beispiel viel Schreibtischarbeit im Sitzen, einhergehend mit zu wenig Bewegung und Sport. Daraus resultieren nicht selten Muskelverspannungen, welche langsam oder auch akut im Sinne eines sogenannten »Hexenschusses« zu starken Rückenschmerzen führen können. Das Gute daran ist, dass dabei kein struktureller Schaden zugrunde liegt. Insofern können Sie sich zunächst für einige Tage selbst mit kurzer körperlicher Schonung und Wärme sowohl durch Heiz- oder Kirschkernkissen als auch Rotlichtlampe zur Muskellockerung behandeln. Bitte scheuen Sie sich auch nicht davor, mal Schmerzmittel zu verwenden, welche für eine begrenzte Zeit in aller Regel nicht schädlich sind. Einen Arzt sollten Sie aufsuchen, wenn die Schmerzen innerhalb von einer Woche nicht besser werden, wenn eine Schmerzausstrahlung vom Nacken bis in Arme und Hände bzw. von der Lendenwirbelsäule bis in die Beine und Füße hinzukommt – was man »Ischiasschmerz« nennt – oder gar, wenn neue Gefühlsstörungen, Kraftminderungen in den Armen oder Beinen auftreten. In diesen Fällen ist eine gezielte Befragung und Untersuchung beim Arzt angezeigt. Notfallmäßiger Arztkontakt ist bei akuten Rückenschmerzen, einhergehend mit Kontinenzverlust, das heißt unkontrolliertem Stuhl- oder Urinabgang, zu raten.
Ein Sprichwort sagt: »Der Rücken ist ein Spiegel unserer Seele«. Sehen Sie einen Zusammenhang?
Der Rücken kann ein Spiegel von Seele und Psyche sein. Mentale Belastungsphasen schlagen sich bei manchen Menschen auf den Magen, andere haben Kopfschmerzen, wieder andere Rückenschmerzen, weil sie sprichwörtlich eine große Last tragen müssen und sich durch diese Anspannung auch besonders die Rückenmuskulatur verspannt und verkrampft. Wir erleben das gerade jetzt in Zeiten von ungewolltem Homeoffice, Homeschooling und vielleicht noch gleichzeitiger Betreuung von Kleinkindern. Auch hier ist wichtig, gemeinsam mit den Kids trotz aller Herausforderungen mal Entspannung und Bewegung zu suchen, die Wohnung zu verlassen, um an der frischen Luft zu sein und dann am besten zusammen zu lachen.