Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts erkranken in Deutschland pro Jahr rund 33.000 Männer und 27.000 Frauen an Darmkrebs – etwa die Hälfte der Erkrankten stirbt daran. Dies bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, an Darmkrebs zu sterben, zehn Mal höher ist, als im Straßenverkehr ums Leben zu kommen. Das müsste nicht sein, denn mit einer rechtzeitigen Früherkennung könnten, so die Einschätzung von Experten, rund 90 Prozent aller Darmkrebserkrankungen vermieden werden. Welche Möglichkeiten es dabei gibt, erläutert Prof. Dr. Christian von Tirpitz, Chefarzt des Fachbereichs Gastroenterologie in der Medizinischen Klinik des Biberacher Sana Klinikums im Rahmen des Darmkrebsmonats, welcher jährlich im März stattfindet.
Herr Prof. von Tirpitz, vorab, wie entsteht eigentlich Darmkrebs?
In den überwiegenden Fällen entwickelt sich Darmkrebs aus Darmpolypen (Adenomen), das heißt aus zunächst gutartigen, pilzähnlichen Wucherungen der Darmwand, die in das Darmlumen hineinwachsen. Ursache dafür sind aufeinander folgende Genveränderungen (Mutationen) an den Schleimhautzellen der Darmwand. Die führen schließlich zum Verlust der natürlichen Wachstumskontrolle der Zellen, sodass sich diese als Krebszellen bösartig und zerstörerisch ausbreiten können. Bei circa 5 bis 10 Prozent aller Erkrankten liegt bereits bei Geburt eine Veränderung des Erbgutes vor, welche mit einem besonders häufigen Auftreten von Darmkrebs, verbunden mit einem früheren Krankheitsbeginn, einhergeht.
Das Alter und die Gene – gibt es weitere Risikofaktoren?
Zunächst - Darmpolypen und Darmkrebs können in jedem Alter entstehen. Jedoch steigt ab dem 40. Lebensjahr das Risiko zur Entstehung von Darmpolypen deutlich an; ab 50 Jahren erhöht sich das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, in der Folge exponentiell. Menschen mit familiärer Vorbelastung haben dabei ein deutlich höheres individuelles Darmkrebsrisiko, auch sind Männer etwas häufiger betroffen als Frauen. Daneben stellen bestimmte Lebensstil- und Umweltfaktoren Risikofaktoren dar. Dazu gehören Übergewicht, Rauchen, hoher Alkoholkonsum und Bewegungsmangel. Auch die Ernährung, beispielsweise ein hoher Fleischkonsum, spielt eine Rolle. Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen weisen darüber hinaus ein deutlich erhöhtes Risiko auf und müssen, in Abhängigkeit von weiteren Faktoren, ab einer gewissen Krankheitsdauer regelmäßig untersucht werden.
Warum ist eine Vorsorge so wichtig?
Hier mache ich immer gerne den Vergleich mit dem Sicherheitsgurt im Auto. Nach Einführung der Anschnallpflicht 1976 hat sich die Anzahl der Verkehrstoten von 20.000 auf circa 3.000, das heißt um rund 80 Prozent, reduziert. Heute steigt kein Fahrer mehr in sein Auto, ohne sich den Sicherheitsgurt anzulegen. Dies ist nicht zuletzt durch entsprechende Bußgelder zur Selbstverständlichkeit geworden. Diese Selbstverständlichkeit fehlt leider im Hinblick auf Darmkrebs. Ein Grund ist möglicherweise die Freiwilligkeit bei der Durchführung der Vorsorge; aber auch die weit verbreitete, jedoch völlig unbegründete Angst vor der Untersuchung spielt eine große Rolle. Viele Menschen glauben zudem, dass sie gesund sind, nur weil sie keine Beschwerden haben. Dabei spürt man nicht, dass man Polypen hat. Und auch, wenn sich diese bereits zum Darmkrebs entwickelt haben, merkt man das in der Regel erst im fortgeschrittenen Stadium, beispielsweise in Form einer Darmblutung oder eines Darmverschlusses. In diesem Stadium ist eine Heilung jedoch oft nicht mehr möglich.
Welche Möglichkeiten zur Früherkennung gibt es?
In Deutschland gehören zwei Untersuchungen zum gesetzlichen Früherkennungsprogramm für Darmkrebs. Für das Auge nicht sichtbare Blutmengen, die auf Darmpolypen oder Krebs hinweisen, können zum einen mittels eines immunologischen Stuhltests nachgewiesen werden. Dieser gibt allerdings eben nur Rückschlüsse auf blutende Darmveränderungen. Die sicherste und zuverlässigste Methode, um Darmpolypen frühzeitig zu erkennen oder einen positiven Stuhltest abzuklären, ist daher die Darmspiegelung (Koloskopie).
Was passiert bei einer Darmspiegelung?
Zunächst einmal möchte ich allen die Angst vor der Durchführung einer Darmspiegelung nehmen. Die meisten Menschen lassen sich vorab eine Spritze geben, in Folge dessen sie „schlafen“ und überhaupt nichts spüren. Am unangenehmsten wird meist das Abführen empfunden, welches in der Regel am Vortag stattfindet. Um bei der Untersuchung alles genau erkennen zu können, muss nämlich der gesamte Dickdarm entleert werden. Im Gegensatz zu früheren Jahren ist die Menge der Spüllösung heute mit 1 bis 2 Litern jedoch deutlich geringer. Für die Untersuchung selbst verwenden wir dann einen dünnen, biegsamen, circa 1,5 Meter langen Schlauch. An dessen Kopf befindet sich eine Lichtquelle sowie eine kleine Kamera, die Bilder aus dem Inneren des Darms auf einen Monitor liefert. So lässt sich der gesamte Dickdarm vom After bis zum Blinddarm gut untersuchen. Das Ganze dauert nicht länger als 20 bis 30 Minuten und bietet direkte Gewissheit. Eventuelle Veränderungen und Krebsvorstufen können dabei direkt entfernt werden.
Welche Leistungen werden von der Krankenkasse übernommen?
Die Kosten für eine Koloskopie werden bei Männern ab dem 50., bei Frauen ab dem 55. Lebensjahr von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Dabei haben Versicherte Anspruch auf wenigstens zwei Darmspiegelungen. Die zweite Untersuchung liegt dabei zehn Jahre nach der ersten, wenn bei der ersten Untersuchung nichts Auffälliges festgestellt wurde. Ab 50 Jahren haben Männer und Frauen darüber hinaus jährlich Anspruch auf den sogenannten immunologischen Stuhltest, ab 55 Jahren alle zwei Jahre. Für Menschen mit einer familiären Vorbelastung, d.h. einem Verwandten ersten Grades (Eltern, Geschwister) mit Darmkrebs, sollte die Vorsorge jedoch deutlich früher beginnen. Als Faustregel kann man sagen, dass die erste Untersuchung 10 Jahre vor dem Alter stattfinden sollte, in dem das Familienmitglied an Darmkrebs erkrankt ist. Spätestes jedoch im Alter von 40 bis 45 Jahren.
Weitere Informationen sowie Terminvereinbarungen Sprechstunde unter Tel. 07351 55-1220 oder -1225.