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Berlin

Vorbeugen von Schmerz

...Frage ist: worin besteht eigentlich eine optimale Prävention für Schmerz? Welche Aspekte sollten beachtet und im besten Fall verändert werden? Hierzu sollte man sich zum einen Risikofaktoren ansehen, aber auch die Möglichkeiten der Veränderung von Umweltfaktoren und eigenen Faktoren betrachten.

 

Risikofaktoren

Gut zu wissen ist, dass Risikofaktoren nicht zwingend zu einer Erkrankung führen müssen. Jedoch ist nicht immer klar, wodurch ein Risikofaktor aktiviert wird und zur Entstehung einer Krankheit führt. Ein wichtiger Teil, Risikofaktoren so gut wie möglich unter Kontrolle zu halten, besteht im Maßhalten. Mäßigung führt zu einer guten Balance in der Lebensführung, so dass die vorbestehenden Risikofaktoren im Zaum gehalten werden können. Dabei lohnt es, bekannte Risikofaktoren im Auge zu behalten, um sowohl im Sinne einer Primärprävention die Entstehung einer Krankheit zu verhindern oder, falls es schon zu einer Schmerzerkrankung gekommen ist, diese zu einer vollständigen Genesung zu bringen (Sekundärprävention) oder einen weiteren Krankheitsprogress mäßigend zu bremsen (Tertiärprävention).

Damit Sie sich verschiedene Risikofaktoren bewusstmachen können, finden Sie hier einige Fragen.

Individuelle Faktoren:

  • Fühlen Sie sich körperlich so, wie es Ihrem biologischen Alter und Ihrem biologischen Geschlecht entspricht?
  • Könnte Ihre Körpergröße eine Rolle spielen bei Ihren Beschwerden?
  • Sind Sie übergewichtig? Diese Frage ist besonders wichtig bei Beschwerden in den Beinen und Füßen.
  • Gibt es familiäre Häufungen von Erkrankungen bzw. wissen Sie von genetischen Risikofaktoren?

Körperliche Verhaltensweisen:

  • Bewegen Sie sich genug in Ihrem Alltag? Haben Sie für Ihr Arbeitsleben und Ihre Freizeit genügen Muskelkraft?
  • Fühlen Sie sich allgemein fit?
  • Nehmen Sie in Ihrem Alltag ausreichend oft eine gesunde Haltung ein?
  • Belasten Sie sich in Ihrer Arbeit oder Ihrer Freizeit einseitig?
  • Rauchen Sie oder nehmen Sie schädliche Substanzen ein?

Die allgemeine Beweglichkeit der Wirbelsäule lässt statistisch übrigens keinen Zusammenhang mit der potenziellen Entstehung von Schmerzen erkennen.

Arbeits- und Umweltbedingungen:

  • Arbeiten Sie in Bereichen, wo Sie Ganzkörpervibrationen ausgesetzt sind?
  • Müssen Sie auf Arbeit schwer oder häufig Heben, Tragen, Ziehen oder Halten?  
  • Gehört zu Ihrer Arbeit der Transfer von Patienten?
  • Ist es auf Arbeit erforderlich, länger in monotonen Körperhaltungen zu verweilen? Gehört dazu häufiges Bücken und Drehen?
  • Sind Ihre Sitzmöbel optimal auf Ihre Körperproportionen einstellbar?
  • Können Sie Ihren Büroarbeitsplatz ergonomisch auf sich einrichten?
  • Sind Sie ausreichend gut für Ihre Arbeitsstelle qualifiziert?
  • Haben Sie ausreichend Einfluss, um Ihre Arbeit zu gestalten?
  • Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem bzw. an Ihrem Arbeitsplatz?
  • Haben Sie eventuell den Arbeitsplatz verloren?
  • Gibt es an Ihrem Arbeitsplatz Kränkungserlebnisse? Haben Sie dort einen dauerhaften Konflikt, wie z.B. Erfahrungen von Mobbing?
  • Wie positiv schätzen Sie im Fall einer aktuellen Krankschreibung Ihre Chancen ein, an Ihren Arbeitsplatz zurückkehren zu können?
  • Haben Sie im Fall einer arbeitsbedingten Verletzung eventuell Sorge, sich erneut am Arbeitsplatz zu schädigen?

Übrigens gibt es bezüglich der Schwere der körperlichen Arbeit eine unterschiedliche Studienlage zur Entwicklung von Schmerzstörungen, so dass dieser Faktor hinsichtlich des Risikos nicht ganz eindeutig ist.

Psychologische und soziale Faktoren:

  • Fühlen Sie sich allgemein unter Stress, und hat dieser Stress besonders mit Ihrem Beruf zu tun?
  • Malen Sie sich bezüglich Ihrer Erkrankung die schlimmsten Folgen aus oder haben Sie die Hoffnung auf Linderung Ihrer Beschwerden bereits verloren?
  • Vermeiden Sie bestimmte körperliche Belastungen, bestimmte Hobbies oder die Arbeit aus Sorge, dass Ihre Beschwerden dann zunehmen?
  • Haben Sie beobachtet, dass Sie sich aufgrund Ihrer Beschwerden vermehrt schonen?
  • Haben Sie vielleicht das Gegenteil an sich bemerkt und sind aufgrund der Schmerzen überaktiv und Sie kommen gar nicht mehr zur Ruhe?
  • Wie gut schätzen Sie Ihren sozialen Rückhalt ein? Finden Sie sich ausreichend durch Familie, Freund oder Arbeitskollegen unterstützt?
  • Gibt es Traumata in Ihrer Vergangenheit?
  • Haben Sie bemerkt, dass Sie verschiedene Körperbeschwerden entwickeln, die sich unter Stress und Anspannung verstärken und die sich körperlich nicht ausreichend erklären lassen?

Das waren einige Fragen zu einigen Risikofaktoren, die mit Funktionseinschränkungen und Beschwerden im Bewegungssystem zusammenhängen können.

Bestimmte Risikofaktoren lassen sich nicht ändern. So sind das Lebensalter oder Krankheitsepisoden in der Vergangenheit nicht beeinflussbar. Jeder Mensch hat eine unterschiedliche Mischung an Risikofaktoren und würde die Relevanz der jeweiligen Faktoren für sich auch anders einschätzen. Daher kann man kein bestimmtes Mischungsverhältnis von Faktoren vorgeben bzw. eine Formel, nach der das Risiko für eine Funktionsstörung oder Schmerzkrankheit berechnet werden kann.

Zu verschiedenen Zeitpunkten haben einige Risikofaktoren eine unterschiedliche Bedeutung. So kann eine geringe Rumpfkraft nicht zwingend den Rückenschmerz vorhersagen, aber bei chronischen Schmerzen findet sich eine gehemmte Rumpfstabilisation regelhaft. Einige Faktoren sind voneinander abhängig, wobei es bei Entwicklung einer Krankheit schwierig ist zu unterscheiden, ob die Faktoren schon im Vorfeld da waren oder sich erst im Verlauf entwickelt haben.

 

Vorbeugung über die Verhältnisse

Wenn wir über Verhältnisse reden, meinen wir Umweltfaktoren und andere Faktoren bei der Arbeit. Wollen wir die Faktoren im Sinne einer Prävention positiv beeinflussen, werden die Umweltbedingungen an diejenige Person besser angepasst. In der Regel handelt es sich um technische Anpassungen der Arbeitsbedingungen.

Das können sein:

  • Gut angepasste Sitze für Berufskraftfahrer
  • Ergonomische Einrichtung der Büroarbeitsplätze
  • Reduktion der auf Arbeit zu hebenden Gewichte
  • Verringerung von Zwangshaltungen
  • Einweisung der Menschen in Tätigkeiten, um Über- und Unterforderung zu vermeiden
  • Training der Körperhaltung
  • Anpassung von Raumtemperaturen

Häufig stößt diese sogenannte Verhältnisprävention dann an Grenzen der Machbarkeit und der Ökonomie. Bestimmte auf Arbeit zu hebende Gewichte lassen sich nicht reduzieren, wie zum Beispiel bei der Kranken- oder Altenpflege.

Neben den technischen Aspekten lassen sich auch organisatorische Maßnahmen auf Arbeit treffen. So können die arbeitenden Personen regelmäßig rotieren, wie zum Beispiel bei Fließbandarbeit. Es lässt sich auch die Arbeitsbelastung verringern, wie bei so genannten Schonarbeitsplätzen. Bei längerer Krankschreibung kann eine Rückkehr an den Arbeitsplatz stufenweise erfolgen.

 

Vorbeugung über das Verhalten

Das Ziel bei der Vorbeugung über das Verhalten besteht darin, dass sich die Person besser an die bestehenden Arbeitsverhältnisse gewöhnt.

Körperlich können wir unsere Belastbarkeit erhöhen. Dies findet über eine Anpassung der körperlichen Aktivität und letztlich über Training statt. Dabei ist es wichtig, die körperliche Aktivität vom Begriff Sport zu trennen, denn bei Sport geht es um körperliche Leistung und Wettkampf. Beim Training ist es wichtig zu überlegen, welche motorischen Grundeigenschaften verbessert werden sollen. Hierzu zählen Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit, Schnelligkeit und Geschicklichkeit/Koordination. Diese Faktoren kann und soll der Mensch sein gesamtes Leben trainieren. Übrigens profitieren auch schwer arbeitende Menschen von aktivierenden Bewegungsprogrammen.

Die Frage nach einem bestimmten Training, wie Pilates oder Krafttraining, lässt sich nach aktuellem Wissenstand nicht allgemein beantworten. Am besten ist es, diese Frage mit dem behandelnden Therapeuten oder Arzt zu besprechen. Sollten sich noch keine Beschwerden eingestellt haben, kann bei Fragen nach dem optimalen Training ein Coach oder Trainer hinzugezogen werden. Im Vorfeld sollten Sie sich darüber im Klaren sein, was Ihre individuellen funktionellen Ziele sind, um dann zu überlegen, von welchem Programm Sie am besten profitieren können.

Neben dem Training ist es besonders bei eintöniger beruflicher Belastung sinnvoll, dass Ihre Freizeitaktivitäten einen Ausgleich für Sie darstellen. In die Überlegungen geht mit ein, ob diese Aktivitäten realisierbar sind und was sie eventuell kosten. Dabei sollte natürlich auch der Aspekt Spaß nicht zu kurz kommen.

Neben dem körperlichen Training ist aber auch der Erwerb von gesundheitsrelevanten Informationen wichtig. Umfragen in der Corona-Pandemie haben gezeigt, dass die Gesundheitskompetenz der deutschen Bevölkerung dringenden Verbesserungsbedarf benötigt und in den letzten Jahren sogar abgenommen hat. Um Wissen über die Gesundheit zu erlangen, können Sie sich Vorträge anhören, Broschüren, Artikel oder Bücher lesen oder sich mit Ihren Therapeuten austauschen. Bei gesundheitsrelevantem Wissen geht es aber auch um Techniken zur Verhaltensänderung und Training der individuellen Fähigkeiten. Das ist einerseits das „Gewusst wie“ für Hausübungsprogramme, die Sie von Ihren Therapeuten erlernen können. Es bedeutet aber auch der Erwerb von Hintergrundwissen zu Trainingsstrategien, gesundem Essen oder Entspannungstechniken. Und es geht auch darum, Informationen zu schädlichen Verhaltensweisen oder Überzeugungen zu erhalten und wie man diese ändern kann. Dann sind wir bei Strategien zur Änderung des Lebensstils und von Gewohnheiten in die gewünschte Richtung.

Zu Verhaltensänderungen zählen aber auch Modifikationen von Risikofaktoren. Das sind in der Regel Hilfsmittel wie Schuheinlagen, Mieder, Stützgurte oder Trainingsutensilien. Das können aber auch angepasste Gegenstände des Alltags sein, wie Matratzen oder Kissen.

Viel Erfolg bei der Umsetzung dieser Information in Ihrem Alltag!

Dr. Stephan Vinzelberg | Ltd. Oberarzt Klinik und Tagesklinik Manuelle Medizin (Lichtenberg)
Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin 
Chirotherapie/Manuelle Medizin 
Spezielle Schmerztherapie
stephan.vinzelberg@sana-kl.de