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Magazinbeiträge aus der Tagesklinik - Manuelle Medizin

Sana Klinikum Lichtenberg

Unwillkürliche Reaktionen auf Schmerz

Schmerzen und das große Durcheinander im Körper: Vegetative Störungen

Kennen Sie das? Wenn Sie sich den Finger in einer Schublade geklemmt haben oder sich kräftig den Zeh gestoßen haben, reagiert Ihr Körper durchaus heftig und auf verschiedene Weisen auf den intensiven Schmerzreiz. 
Dabei springt Ihr vegetatives Nervensystem, oder auch autonomes Nervensystem, auf den intensiven Reiz an, der ja in der Regel Gefahr bedeuten kann (frei nach dem Motto: Säbelzahntiger am Arm) und ihr Körper aktiviert ein bestimmtes Stressmuster. So ein Stressmuster kann zum Beispiel der sogenannte Fluchtmodus sein oder der Kampfmodus. Wir wollen also entweder aus der gefährlichen Situation, mit der evolutionär oft Schmerzursachen verbunden sind, fliehen oder aktiv gegen die Gefahrenquelle vorgehen. Dafür müssen wir unsere Muskeln aktivieren, dafür müssen Energiereserven angezapft werden und wir müssen unseren Kreislauf auf Touren bringen.


Welche akuten vegetativen Reaktionen zeigen sich unter Umständen bei intensivem akutem Schmerz?

  • Beschleunigter Herzschlag
  • Erhöhter Blutdruck
  • Vertiefte Atmung
  • Schwitzen
  • Erröten
  • Übelkeit

In der Regel bleibt der Schmerz im Bewegungssystem oft lokal begrenzt und tritt oft nur kurzfristig auf. Schmerzen in unserem heutigen Alltag werden oft durch vorübergehende Überlastungen oder Zwangshaltungen ausgelöst, durch Ermüdung, durch minimale Verletzungen wie Umknicken oder in stressbedingten Anspannungssituationen. Das heißt, dass auch die vegetativen Mitreaktionen in der Regel nur kurz und gegebenenfalls intensiv auftreten. Bei einem großen Schmerzreiz kann einem sogar kurz Schwarz vor Augen werden. Zum Glück tritt nur selten, also bei etwa 10 %, der Schmerz wiederholt auf oder bleibt andauernd bestehen. In diesen Fällen kommt es dann überdurchschnittlich oft dazu, dass auch die vegetative Mitreaktion verlängert oder dauerhaft auftreten kann.

Man spricht dann von einer sogenannten Zentralisierung. Dabei sind dann nicht nur Nervenzellen in der Körperperipherie bzw. im betreffenden Wirbelsäulenabschnitt vorrangig mit der Signalverarbeitung beschäftigt, sondern auch tief im Gehirn sind dauerhaft größere Zentren mit der Schmerzverarbeitung beschäftigt. Diese Gehirnabschnitte sind, neben der Schmerzverarbeitung, verantwortlich für die Stressregulation und aktivieren damit auch die oben genannten körperlichen Stressmuster. Und damit sind neben den Muskeln auch andere Organe durch den Schmerz gestört und wir spüren diese Störungen mehr oder weniger intensiv in unserem Alltag.

Das vegetative Nervensystem wird auch autonomes Nervensystem genannt, weil es autonom, also unwillkürlich reagiert. Wir spüren also die Wirkungen unseres vegetativen Nervensystems, können es aber nicht direkt beeinflussen. Oder können Sie es im Moment, wenn Sie es bemerken, dass Sie vermehrt schwitzen, das Schwitzen stoppen oder zumindest vermindern? Genau – es arbeitet autonom.


Schmerzen und das Herz macht „Bumm“!

Treten Funktionsstörungen in der unteren Halswirbelsäule oder dem oberen Brustkorb auf, kann das Herz oder der Blutdruck reagieren. So kann eine Blockierung der oberen Rippen Herzrhythmusstörungen auslösen oder einen (kurzfristigen) Blutdruckabfall oder -anstieg nach sich ziehen. Asthmatiker zeigen häufiger Funktionsstörungen des oberen Brustkorbausgangs, was sich durch die verstärkte Nutzung von Atemhilfsmuskeln im Asthmaanfall begründen lässt. Umgekehrt können auch hier Blockierungen der Brustwirbelsäule oder der oberen Rippen zu Atembeklemmungen, Kloßgefühl bis hin zu Verschlechterungen der Asthmasymptomatik führen.


Wenn der Schmerz schwer im Magen liegt

Schmerzmedikamente haben oft ungewünschte Nebenwirkungen auf die Verdauung. So können antientzündliche Analgetika, so genannte Antiphlogistika, wie Ibuprofen oder Diclofenac, die Magenschleimhaut mit Gastritis, Sodbrennen bis hin zu einer erhöhten Blutungsgefahr empfindlich stören. Opioide hemmen hingegen die Darmtätigkeit. Die Folge sind Verstopfungen, die sich oft nur mit der Einnahme von abführenden Mitteln lösen lassen oder eine Dosisreduktion der Opioide erfordern.

Unabhängig von der Wirkung von Analgetika auf das Verdauungssystem können jedoch auch Funktionsstörungen im unteren Burstkorb und in der mittleren Rückenregion Auswirkungen auf die Verdauung haben. Spannungsgefühle im Oberbauch, Druck, in den Bauch ausstrahlende Schmerzen und auch gestörte Verdauungstätigkeit können hier ihre Ursachen haben. Manchmal zeigen sich diese Zusammenhänge erst im Rahmen einer Physiotherapie oder Massagebehandlung, wenn durch die Behandlung der gestörten Regionen oder die allgemeine Entspannung die Verdauungstätigkeit angeregt wird und der Darm beginnt zu gluckern. Einige Patienten empfinden das eventuell als störend oder peinlich, aber eigentlich ist das genau der Weg in die gewünschte Richtung der Schmerztherapie, hin zu einer besseren Regulation.


Wenn der Schmerz auf die Blase schlägt

Schmerzen im unteren Rücken und im Beckenbereich können einen Einfluss auf die Urogenitalorgane haben. Dabei kann eine Reizblase auftreten oder gehäuftes Wasserlassen, was sich bis hin zu Schwierigkeiten beim Wasserlassen und Inkontinenzzeichen auswirken kann. Auch vermehrte Entzündungen im Beckenbereich, wie wiederholte Blasen- oder Vaginalentzündungen haben manchmal ihre Ursachen in gestörter Funktion des Beckenbodens und der gesamten Muskel- und Faszienspannung im Beckenbereich und unteren Rücken. Auch Schwierigkeiten beim Sex, wie beispielsweise Erektionsstörungen können anteilig durch Störungen des Beckenbodens und Schmerzen in dieser Region bedingt sein.


Schmerz bringt Sie ins Schwitzen?

Wie bei der Verdauung zeigt sich oft auch eine gestörte Temperaturregulation allein durch die medikamentöse Schmerztherapie. Im Rahmen von Opiatbehandlung kann vermehrtes Frösteln oder Schwitzen auftreten. Doch auch der Entzug von Opioiden zeigt manchmal einen deutlichen Bezug zur Regulation der Körpertemperatur. Einigen Patienten ist tagelang kalt, insbesondere wenn die letzten Schritte eines Entzuges von Schmerzmitteln anstehen, was bin hin zu Schüttelfrost gehen kann. Doch auch ohne die Wirkung von Schmerzmitteln kann die Temperaturregulation häufig gestört sein. Einige Schmerzpatienten berichten, „schon immer“ unter kalten Händen oder kalten Füßen zu leiden und dass sich dies im Rahmen der Schmerzentwicklung noch weiter verstärkt habe. Einige gehen sogar mit extra Socken ins Bett, im ruhe im Schlaf zu finden. Andere müssen hingegen ihr Bettzeug mitten in der Nacht wechseln, da sie tags oder nachts so viel schwitzen.


Wer hat an der inneren Uhr gedreht?

Nict zuletzt kann die gesamte Energiebereitstellung gestört sein im Zusammenhang mit Schmerz. Einige Patienten finden nicht die richtige Schlafposition und können daher nur schwer einschlafen. Andere wachen früh auf und werden durch ihren Rücken aus dem Bett getrieben, obwohl sie noch nicht ausgeschlafen haben. Andere berichten aber, dass ihr Schlaf eigentlich gut sei, sie aber trotzdem tagsüber keine Energie haben oder bereits bis zur Mittagszeit ihre Energie erschöpft haben und Pause machen müssen. Und es gibt auch jene Schmerzpatienten, die gar nicht mehr entspannen können. Dies kann auch ein Zeichen einer gestörten Stressregulation sein. Dann fällt jede Pause, jede Entspannungsmöglichkeit schwer, und an Einschlafen ist nachts auch nicht zu denken, da ja so viele Gedanken durch den Kopf gehen. Und einige Menschen sind im Rahmen ihrer Schmerzstörung völlig aus dem Rhythmus und können dadurch ihren Alltag nur schwer absolvieren.


Welche Therapien bringen Ordnung in das körperliche Durcheinander?

Wie lässt sich jetzt etwas Ruhe und Ordnung in die Körperregulation bringen im Rahmen einer Schmerztherapie? Sie erinnern sich, wie weiter oben erwähnt, dass das vegetative Nervensystem ja eigenständig reagiert, wir es also in dem Moment direkt nicht beeinflussen können.

Wir können es aber trainieren, das heißt mit wiederholten Reizen in die hoffentlich gewünschte Richtung beeinflussen, also zum Beispiel weniger schnell zu Schwitzen (wie in unserem Beispiel).

Einige Grundlagen der wiederholten Reizsetzung bei der Behandlung vegetativer Störungen werden bereits in der Therapieplanung gelegt, so dass ein regelmäßiger Tagesrhythmus wieder eingeübt werden kann. Es ist für Ruhepausen am Behandlungstag zu sorgen, mit entsprechendem Abstand zwischen körperlichen Aktivitäten. Und am Wochenende wird regeneriert und extra körperliche Belastungen vermieden.

Es gibt die Möglichkeit medikamentöser Beeinflussung, wie zum Beispiel mit Antidepressiva, die den Schlafrhythmus und die Schmerzschwelle normalisieren sollen sowie mit der Möglichkeit von Neuraltherapie, so genannten Quaddelungen.

Schon Pfarrer Kneipp wusste, dass die Abhärtung mit kaltem Wasser einen regulativen Effekt auf die Körperrhythmen und damit auf die Gesundung hat. Damit ist ein großer Schlüssel in der Regulierung des vegetativen Nervensystems die Hydrotherapie. Insbesondere Wechsel von Wärmereiz und Kältereiz regen Regulation an, wie in der Sauna oder mit Wechselgüssen. Aber auch reine Kältereize sind geeignet, da sie die Gegenregulation anregen, zum Beispiel Tautreten oder kalte Duschen. Mehr zur Hydrotherapie und zur Kneipp-Tradition finden Sie in diesem Blogbeitrag: Naturheilverfahren in der multimodalen Schmerztherapie

Ein weiterer wichtiger Therapiepunkt ist das Ausdauertraining, welches möglich ist im Rahmen von Ergometertraining, Laufbandtraining oder Nordic Walking. Das Ausdauertraining sorgt für die nötige Aktivierung unseres Energie bereitstellenden Systems und die nachfolgende Ruhephase sorgt für die erforderliche Gegenregulation.

Nicht zuletzt sind Entspannungsverfahren hilfreich. Diese können sowohl über den Körper eingeleitet werden, die im Rahmen von Progressiver Muskelrelaxation, Qi Gong, Tai Chi oder Yoga für die nötige innere Ruhe sorgen. Oder die Entspannung wird mit mentalen Techniken eingeleitet, wie Autogenem Training, Meditation oder geführten Traumreisen, und der Körper entspannt sich dann nachfolgend.


Wie helfe ich mir selbst? Wie können Schmerzpatienten sich besser regulieren?

Wichtige Punkte zu dieser Frage haben wir bereits im Blog „Den Schmerz in Ordnung bringen“ thematisiert.

An dieser Stelle möchten wir gern noch mal die Möglichkeiten auflisten, mit denen man gezielt die Organsysteme erreichen kann.

Herzkreislaufsystem:

  • Ausdauertraining für die aerobe Leistungsfähigkeit, ein Gefäßtraining und die Blutdruckregulation (zu niedrig und zu hoch)
  • Kälteanwendungen wie kalte Duschen für zu niedrigen und zu hohen Blutdruck (bei zu hohem Blutdruck kalte Ganzkörperduschen am Anfang vermeiden)
  • Rückentraining und Atemübungen bei Herzrhythmusstörungen

Atmungssystem:

  • Ausdauertraining für die aerobe Leistungsfähigkeit
  • Kälteanwendungen für die Abhärtung bei wiederholten Atemwegsinfekten
  • Rückentraining, Faszienübungen und Atemübungen bei wiederholten Rippenblockierungen mit Ein- oder Ausatemstörungen

Verdauungssystem

  • Ausdauertraining, Rumpfstabilisierungsübungen und Mobilisierungsübungen von Brustkorb und Wirbelsäule bei Verstopfungsproblemen oder Reizdarm
  • Beckenbodenübungen bei Kontinenzproblemen

Urogenitalsystem

  • Kälteanwendungen bei wiederholter Infektneigung (kalte Füße bei Nierenproblemen vermeiden)
  • Rückentraining, Rumpfstabilisierungsübungen und Mobilisierungsübungen bei wiederholten Flankenschmerzen oder Schmerzen im kleinen Becken
  • Beckenbodenübungen bei Kontinenzproblemen

Temperaturregulation

  • Kälteanwendungen bei zu starkem Schwitzen (bei Frieren ist Kälteanwendung zu vermeiden)
  • Wechselduschen oder Sauna bei vermehrtem Schwitzen oder bei Raynaud-Symptomatik (bei ausgeprägter Symptomatik nur schwache Reize wählen)

Störung der Tagesrhythmik

  • Lichtexposition, hierfür möglichst natürliches Licht nutzen oder Tageslichtlampen
  • Entspannungspausen (Musik, Dösen etc.)
  • Entspannungstechniken (Atemtherapie, PMR nach Jacobson, Autogenes Training, Qi Gong)
  • Schlafrhythmus beachten, wie Regelmäßigkeit, Schlafrituale, Wirkung von Koffein, Alkohol und Rauchen, sowie größere Mengen Essen vor dem Schlafengehen meiden, angenehme und schlaffördernde Schlafumgebung u.a.
  • Stressoren reduzieren

Dr. Stephan Vinzelberg | Chefarzt  Klinik und Tagesklinik Manuelle Medizin (Lichtenberg)
Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin 
Chirotherapie/Manuelle Medizin 
Spezielle Schmerztherapie
stephan.vinzelberg@sana.de