... Gesunderhaltung und Prävention gezielt eingesetzt werden können. Daneben werden diese Vorstellungen in der Therapie eingesetzt, um die es in diesem Blog gehen soll. Erste strukturierte naturheilkundliche Konzepte wurden in der Mitte des 19. Jahrhunderts begründet. Einige von ihnen werden auch heute noch angewandt.
Zu den fünf klassischen Naturheilverfahren zählen die
- Hydrotherapie
- Ernährungstherapie
- Bewegungstherapie
- Phytotherapie
- Ordnungstherapie
Diese fünf Verfahren wollen wir uns heute genauer ansehen unter 2 Aspekten. Der eine Aspekt ist, welche Verfahren davon in der Schmerztherapie angewendet werden. Der zweite Aspekt besteht in Überlegungen, wie diese Prinzipien in den täglichen Lebensstil und Verhaltensweisen integriert werden können.
Hydrotherapie
Das Wasser spielt in der Naturheilkunde eine große und wichtige Wirkung. Wasser ist eines der vier Elemente. Damit ist es ein elementarer Heilfaktor.
Wasser hat mit seinen physikalischen Eigenschaften die Möglichkeit, Wärme und Kälte zu speichern und wieder abzugeben. Damit sind insbesondere die thermischen Reize die wichtigsten Anteile im naturheilkundlichen Verständnis. Wassergymnastik zum Beispiel nutzt auch physikalische Eigenschaften des Wassers wie Auftrieb, Widerstand, hydrostatischer Druck. Sie ist aber eher im Sinne einer Bewegungstherapie Bestandteil der Naturheilverfahren.
Hydrotherapie im klassischen Verständnis ist zuerst von medizinischen Laien ausgeübt worden. Wasserheilanstalten sind nach weiterer Verbreitung der Hydropathie-Bewegung in der Mitte de s19. Jahrhunderts in verschiedenen Teilen Deutschlands entstanden. Prießnitz hatte die erste und bekannteste Kaltwasseranstalt in Schlesien gegründet. Sein Name und andere Wasserheiler sind im allgemeinen Bewusstsein vielleicht nicht mehr so präsent, der Name Sebastian Kneipp jedoch schon.
Die von Kneipp propagierten (kalten) Wasseranwendungen sind auch heute durch den deutschen Kneipp-Bund, viele Kneipp-Kurorte und diverse Kneipp-Angebote in Gesundheits- und Wellnesseinrichtungen gut bekannt.
Die Wirkung besteht in dem regulierenden Einfluss auf das vegetative Nervensystem, das oft im Sinne einer aktivierten Stressregulation bei Schmerzerkrankungen gestört ist.
Gestörte vegetative Reaktionen bei chronischen Schmerzstörungen können sich zeigen in:
- Ein- und Durchschlafstörungen
- Kalten Händen oder Füßen
- Allgemeinem Kältegefühl
- Vermehrtem Schwitzen
- Unspezifischen Herzrhythmusstörungen (Palpitationen, „Herzstolpern“)
- Gehäufter Infektneigung (Harnwegsinfekte, obere Atemwege)
- Unspezifischen Verdauungsstörungen (Verstopfung, Aufstoßen, Geblähtsein u.a.)
Im multimodalen schmerztherapeutischen Behandlungskontext können hydrotherapeutische Anwendungen im Sinne einer Erfahrungserprobung stattfinden. Dabei kann die einzelne Anwendungsform herausgefunden werden, die die beste Wirkung zeigt, der Applikationsort bestimmt werden sowie die Reizstärke. Oft ist im Sinne einer „Abhärtungsmaßnahme“ nur der eiskalte Guss und der Sprung in die kalten Fluten bekannt, wie es zu Zeiten von Sebastian Kneipp auch praktiziert wurde. Doch kann auch eine Dosismilderung vorgenommen werden im Sinne von lauwarmen oder laukalten Reizstärken.
Folgende hydrotherapeutische Methoden werden in der Regel therapeutisch angewandt:
- Wechselgüsse (Knie-, Armgüsse)
- Wechselduschen
- Fußbäder (Wechselfußbäder, mit oder ohne Aromazusatz)
- Wickel (Leibwickel, Nackenwickel, Wadenwickel)
- Bäder (Ganzkörperbad)
Eine kurzfristige Wirkung kann bei den Anwendungen zwar schon während der Behandlung beobachtet werden, der allgemeine Abhärtungseffekt stellt sich aber erst nach einigen Monaten regelmäßiger Anwendung ein. Daher ist es notwendig, die hydrotherapeutischen Therapiemöglichkeiten in den täglichen Alltag zu integrieren. In Frage kommen hier die Güsse und Wechselduschen, aber auch Fußbäder, die relativ einfach in der Häuslichkeit umgesetzt werden können. Einige Patienten nehmen auch das klassische Tautreten in ihren Alltag auf. Und wer die Möglichkeit hat, kann auch die Sauna in die regelmäßigen Wasseranwendungen aufnehmen.
Ernährungstherapie
Die Ernährungstherapie ist nach der Wassertherapie der historisch zweite Anteil, der sich in den Naturheilverfahren etabliert hat. Im 19. Und 20 Jahrhundert haben verschiedene Naturheilärzte ernährungstherapeutische Behandlungsansätze begründet. Zu nennen sind hier Max Bircher-Benner, Helmut Anemueller, Werner Kollath und Franz Xaver Mayr. Das Bircher-Müsli ist auch heute noch in der Öffentlichkeit ein Begriff. Ernährungstherapeutisch haben sich viele Kostformen in den vergangenen 2 Jahrhunderten entwickelt. Etabliert in der Naturheilkunde ist besonders die Vollwertkost. Als therapeutische Anwendung ist daneben das Heilfasten etabliert.
Die Ernährungstherapie ist ein Kernstück, da Essen und Trinken für jeden von uns tägliche Routine bedeutet und die Lebensmittel und Produkte mit ihren Nährstoffen und chemischen Signalen unsere Körperprozesse in gewünschter oder ungewünschter Form beeinflussen können.
Schmerztherapeutische Wirkungen sind in der Ernährungstherapie eher unterrepräsentiert. Im Sinne einer Wirkung auf die Entzündungsprozesse und antioxidativen Wirkstoffe lassen sich jedoch folgende Aspekte der Ernährungstherapie formulieren. Laut Expertenmeinung kann eine Umstellung der Ernährung langfristig das Wohlbefinden bei chronischen Schmerzen verbessern. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem sog. „Clean Eating“, d. h. es sollten ausschließlich Nahrungsmittel konsumiert werden, die naturbelassen und unverarbeitet sind und aus regional biologischem Anbau stammen. Zusätzlich sollte man ausreichende trinken, mindestens zwei Liter täglich.
Schmerztherapeutische Aspekte der Ernährungstherapie:
- Frühstück nicht ausfallen lassen
- Mageres Eiweiß und langkettige Kohlenhydrate zu jeder Mahlzeit essen
- Gesunde Fette integrieren
- Frisches Obst und Gemüse als Quelle für Ballaststoffe, Vitamine, Mineralstoffe und Enzyme nutzen
- Keine übermäßigen Portionen essen
- Alle konsumierten Lebensmittel sollten so naturbelassen wie möglich sein, aus regionalem Bioanbau stammen und frisch verzehrt werden
- Folgende Produkte sollten nicht oder nur sehr eingeschränkt konsumiert werden:
- Alkohol, Säfte, Limonaden u. ä.
- Weißmehl, Zucker, Süßstoffe sowie Lebensmittel, die diese Produkte enthalten
- Fertigprodukte
- Frittiertes
- Produkte mit Zusatzstoffen
Wirkungen einer Umstellung der Ernährung auf naturbelassene Nahrungsmittel:
- Verdauung und Stoffwechsel sind besser reguliert
- weniger Entzündungsreaktion, damit bessere Schmerzverarbeitung
- weniger Blähbauch
- Energie ist gesteigert
- besseres Hautbild
- normalisiertes Geschmackserlebnis
- bessere Schlafqualität
- gesteigertes Wohlbefinden
- erhöhte Konzentrationsfähigkeit
- Gewichtsabnahme
Bezüglich der Reduktion triggernder Nährstoffe hat sich auch das Heilfasten etabliert. Gerade bei Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis kann eine vorübergehende Nahrungsreduktion oder ein Verzicht auf ausgewählte Nahrungsbestandteile eine vorübergehende oder langanhaltende Schmerzlinderung bzw. Reduktion der Krankheitsaktivität erreicht werden. Oft können erst im Zusammenhang mit Heilfasten spezifische schmerzrelevante Nahrungsanteile für den Einzelnen oder die Einzelne herausgefunden werden. Daneben stellt das Heilfasten oft einen Umkehrpunkt in den Ernährungsgewohnheiten dar, unbedingt sollte dabei aber auf die Etablierung regelmäßiger und gesunder Ernährungsgewohnheiten geachtet werden.
Heilfasten wird in verschiedenen, auch auf Schmerz spezialisierten Kliniken durchgeführt. In unserem Klinikum beschäftigen wir uns hauptsächlich mit orthopädischen Aspekten des Bewegungssystems, rheumatologische Erkrankungen stehen dabei weniger im Vordergrund oder sind bereits in der Vorzeit durch Vorbehandler gut eingestellt. Es hat sich in der Erfahrung gezeigt, wenn es um Kräftigung, katabole Aufbauprozesse, Stabilisierung des Bewegungssystems und vermehrten Energiebedarf im multimodalen Behandlungssetting geht, dass ein Heilfasten dann einer ausreichenden Energiebereitstellung eher im Wege steht. Heilfasten wird daher in unserem Behandlungssetting nicht vermittelt.
Bewegungstherapie
Auf den Anteil der Bewegung in der Schmerztherapie und die Wirkungen der Bewegung auf die Gesundheit sind wir bereits in einem vorherigen Blog näher eingegangen.
In der multimodalen Schmerztherapie stellt Bewegung tatsächlich eines der wichtigsten Kernstücke dar. Die Bewegungstherapie ist zwingend in jedem Therapiesetting enthalten und seine positive Wirkung auf Schmerzerkrankungen unbestritten.
Ob der Aspekt Bewegung für Sie in der Schmerztherapie relevant sein könnte, können Sie mit der folgenden Checkliste herausfinden:
- Bin ich durch die Beschwerden in meiner Mobilität eingeschränkt?
- Werde ich durch die Beschwerden in meinem häuslichen Alltag eingeschränkt?
- Schränken mich die Schmerzen in meiner Körperhygiene bzw. beim An- und Auskleiden ein?
- Habe ich Hobbys pausiert oder reduziert, da ich mir bestimmte Belastungen nicht mehr zumute?
- Habe ich die Befürchtung, dass die Schmerzen für potenziell gefährliche Veränderungen in meinem Körper stehen? Vermeide ich daher irgendwelche Aktivitäten?
- Ist meine Arbeitsfähigkeit kurz- oder langfristig beeinträchtigt durch die Beschwerden?
- Kann ich nicht mehr an allen sozialen Aktivitäten aufgrund meiner Beschwerden teilnehmen, z.B. Konzerte, Restaurantbesuche, Freunde treffen?
- Sind Sie bereits körperlich aktiv und versuchen Sie eventuell, durch (noch) mehr Bewegung die Schmerzen unter Kontrolle zu halten?
Wenn Sie eine oder mehrere Fragen hierzu mit einem „Ja“ beantwortet haben, könnte dieser frühere Blogbeitrag für Sie interessant sein:"Bewegung bei Schmerz - wie geht denn das“
Phytotherapie
Die Übermittlung von Schriften, in denen Heilpflanzen beschrieben werden, reichen auf bis zu 4000 Jahre vor unserer Zeitrechnung zurück. In Aufzeichnungen der Sumerer, Babylonier und Assyrer lassen sich Hinweise zu wässrigen oder öligen Pflanzenaufgüssen finden. Auch noch heute praktizieren viele Naturvölker eine reichhaltige Tradition an Anwendungen von Heilpflanzen.
In unseren Kulturkreisen hat besonders die Klostermedizin im Mittelalter eine umfangreiche Kräuterkunde zusammengestellt. Neben der christlichen Tradition existieren aber auch heidnische Traditionen im Sinne einer lang tradierten Erfahrungsmedizin. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wahr die Pflanzenmedizin Teil der Lebensreformbewegung mit dem Grundgedanken, dass durch eine naturgemäße Lebensweise Krankheiten vorgebeugt werden könne. Daneben konnten durch ein Erstarken der Chemie verschiedene Wirkstoffe aus Heilpflanzen identifiziert, isoliert und analysiert werden. Später ging dieses Wissen in die synthetische Herstellung und Weiterentwicklung der modernen Arzneimittel ein.
Pflanzliche Heilstoffe können sowohl äußerlich angewandt werden im Sinne von Salben, Wickeln, öligen Einreibungen etc., aber auch innerlich verabreicht werden, z.B. in Form von Tees und Tropfen.
Phytopharmaka als Schmerztherapeutika haben traditionell ihren Einsatz zum einen bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, wie rheumatoider Arthritis, M. Bechterew, Infektarthritiden u.a. Daneben werden sie auch bei degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen angewendet, wie bei Arthrosen, Spondylarthrosen aber auch bei akuten Verletzungen, wie Prellungen und Distorsionen.
Im Experiment können verschiedene schmerzlindernde und entzündungshemmende Effekte nachgewiesen werden. In der Klinik ist jedoch ein Einsatz von Phytotherapeutika in der Schmerzmedizin eher begrenzt.
Klassisch ist als eines der ersten analgetischen Pflanzenextrakte das Trockenextrakt aus der Weidenrinde belegt. Beobachtungen hatten gezeigt, dass Weidetiere, die unter Schmerzen litten, häufig die Rinde von Weidenbäumen gefressen hatten und offensichtlich eine Linderung zeigten. Aus dem Salicis cortex ist die heutige Acetyl-Salicylsäure, auch bekannt als Aspirin oder ASS, weiterentwickelt worden, welches ja als traditionelles Kopfschmerzmedikament weithin bekannt ist.
Phytotherapeutisch zeigen Extrakte aus der Teufelskralle, aus Eschenrinde, Silberpappel und Goldrutenkraut gute Effekte, die insbesondere als Kapseln oder Filmtabletten eingenommen werden können. Arnikablüten werden bei chronischen, aber auch akuten Schmerzzuständen, wie z.B. Traumata, als Mundspülungen aber insbesondere als äußere Anwendungen wie Salben verwendet.
Cayennepfefferfrüchte wirken über das Capsaicin. Dieses dockt an den Capsaicin-Rezeptor, der vor nicht allzu langer Zeit als schmerzrelevanter Rezeptor an menschlichen Zellen identifiziert werden konnte. Die Entdeckung dieser Rezeptoren wurde als Meilenstein in der Schmerzforschung mit dem Nobelpreis für Medizin 2021 zu Recht belohnt. Produkte mit Capsaicin werden äußerlich bei Verspannungen, aber auch bei neuropathischen Schmerzen angewandt.
Zuletzt sei hier Beinwell als Wurzel oder Kraut genannt, welches bei Prellungen, Verstauchungen oder anderen stumpfen Verletzungen in Form von Salben oder Cremes äußerlich angewandt werden können.
Abschließend sei hier erwähnt, dass Homöopathie nicht zur Phytotherapie gezählt wird. Die Wirkungen von Homoöpathie sind nicht ausreichend belegt. Sie kommt daher nicht in unserer Klinik zur Anwendung.
Ordnungstherapie
Die Ordnungstherapie als fünfte Säule der klassischen Naturheilverfahren sei hier nur kurz erwähnt. Sie ist auch das Fundament der fünf Säulen.
Die Ordnungstherapie steht in der Tradition der klassischen „diaita“ nach Hippokrates und Galen, die von einer gesunden Lebensführung ausging. In der heutigen Medizin findet sich die Ordnungstherapie in Behandlungsansätzen wie der „Mind-Body-Medizin“.
Aber auch die ärztliche oder therapeutische Aufforderung zu regelmäßiger Bewegung, strukturierter Einnahme von Nahrung und Medikamenten und Reduktion von schädigenden oder schwächenden Verhaltensweisen oder Substanzen geht auf ein ordnungstherapeutisches Verständnis zurück.
Wenn Sie an diesem Thema mehr Interesse haben, können Sie gern in unserem früheren Blogbeitrag hier nachlesen:
„Den Schmerz in Ordnung bringen“.
Neben der klassischen Naturheilkunde gibt es neuere Behandlungskonzepte, wie die Osteopathie, oder auch Behandlungsansätze aus anderen Regionen der Welt, wie die Akupunktur. Zu diesen Behandlungsformen werden Sie zu einem späteren Zeitpunkt in weiteren Blogbeiträgen mehr lesen können.