Die Notwendigkeit von Stabilisation
Gelenke sollen stabil sein, wenn sie bewegt werden, auch die Gelenke der Wirbelsäule. Dafür muss die Muskulatur lernen so zu arbeiten, dass sie die Gelenke nicht nur bewegt, sondern auch schützt und sie dadurch nicht gestresst werden. Die Scherkräfte, die bei der Bewegung auf das Gelenk wirken, sollen von den tiefen Muskeln aufgefangen bzw. absorbiert werden. Das ist besonders wichtig für Menschen mit Schmerzen in den entsprechenden Gelenken bzw. der Wirbelsäule.
Anatomisch wissen wir, dass die großen, oberflächlichen Muskeln der Kraftentfaltung und der Bewegung dienen. Und wir kennen die kleinen, tief liegenden Muskeln, die für die Stabilisation verantwortlich sind. Die so genannte tiefe, primär stabilisierende Muskulatur soll dafür bereits wenige Millisekunden vor der großen, oberflächlich gelegenen, globalen Muskulatur arbeiten. Man nennt diesen automatischen Steuerungsmechanismus Feed-Forward-Mechanismus, quasi das Gegenteil von Feedback.
Der Feed Forward Mechanismus ist bei Schmerzpatienten gestört
Bei Schmerzpatienten, besonders Menschen mit Rückenbeschwerden, bei Leisten- und Hüftschmerzen, wissen wir aus vielen Studien, dass die tiefen Bauch-, Rücken- und Beckenmuskeln abgeschwächt sind und eben nicht ausreichend aktiviert werden können. Dabei weiß man aber nicht genau, was vorher gestört ist, die Stabilität, die dann zu Schmerzen führt, oder der Schmerz, der nachfolgend die Tiefenstabilisation hemmt. Ungeachtet dessen, wie die Reihenfolge der Störung vor sich geht, es muss die tiefe stabilisierende Muskulatur isoliert trainiert werden, damit sich der Feed-Forward-Mechanismus wieder automatisiert. Für diesen Lernprozess benötigt es in der Regel einen längeren Zeitraum, zirka 6-8 Wochen.
Wichtig zu wissen: Es gibt kein Gerät auf der Welt, welches tiefe stabilisierende Muskeln isoliert trainiert!
Aktivierung und Training der Tiefenstabilität sind grundsätzlich etwas anderes als Kräftigung der Tiefenstabilität. Die Tiefenmuskulatur wird immer in Zusammenarbeit mit der oberflächlichen Bewegungsmuskulatur angespannt. Im Training können also beide Muskelgruppen nicht voneinander getrennt werden. Umgekehrt ist es sogar eher hilfreich zu lernen, dass beide Muskelgruppen in den vielfältigen Alltagsanforderungen und Bewegungsfunktionen lernen, gemeinsam optimal aktiv zu sein.
Das tiefenstabilisierende System des Rumpfes – ein Fass mit Boden und Deckel
Das tiefe stabilisierende System im Rumpf, unser „Core“, besteht aus tiefer Rückenmuskulatur, den tiefen, quer verlaufenden Bauchmuskelschichten, dem Zwerchfell und dem Beckenboden. Die kleinen Muskeln der Wirbelsäule verlaufen dabei von jedem Wirbel zum nächsten oder übernächsten Nachbarwirbel. Sie stabilisieren und zentrieren die Wirbelgelenke, sichern die Haltung, bevor wir in Bewegung gehen und ermöglichen, dass wir komplexe Bewegungsabläufe aus unserer stabilen Mitte heraus koordinieren können.
Das Zwerchfell trennt den Brustkorb vom Bauchraum und ist unser größter Atemmuskel. Es ist sozusagen der Deckel von unserem Bauchraum, stabilisiert die Lendenwirbelsäule und schwingt zusammen mit dem Beckenboden bei jedem Atemzug. Der Beckenboden hält die Organe von unten, stabilisiert und hilft bei einer optimalen Haltung des unteren Rückens. Der tiefe, quere Bauchmuskel hält die Bauchorgane von vorne und stabilisiert die Bauchwand.
Spezifisches Training für Tiefenstabilisation sind zum Beispiel:
- Yoga
- Pilates
- Functional Training
- Core-Training
- Übungen auf instabilen Unterlagen
Körperwahrnehmung schulen – eine grundlegende Voraussetzung für stabilisierendes Training
Körperwahrnehmung ist das Empfinden des eigenen Körpers und seiner Bedürfnisse. Dabei geht es nicht nur darum, Signale, die der Körper sendet, wahrzunehmen, sondern besser zu verstehen, woher sie kommen und was sie bedeuten. Eine Nackenverspannung nach mehreren Stunden Schreibtischarbeit kann zum Beispiel ein Bedürfnis des Körpers nach Bewegung und Entspannung ausdrücken. Häufig wird jedoch das Körperempfinden im Alltag ignoriert, wir bleiben sitzen und arbeiten weiter. Anfänglich sind wir uns dem noch bewusst, mit der Zeit verlieren wir unser Körperbewusstsein.
Gründe für Ignorieren der Körpersignale im Alltag:
- Aushalten monotoner Bewegungen und einseitiger Körperhaltungen auf der Arbeit
- Lang andauernde Nutzung von Smartphone, Tablet oder Spielconsole
- Durchhaltestrategien bei Schmerzen
- Innere Antreiber beim Sport oder anderen Alltagstätigkeiten
- Übermäßiges Leistungsorientierung beim Training
Möglichkeiten, die Körperwahrnehmung zu schulen
- Entspannungstechniken wie Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung
- Atemtraining
- Dehnübungen
- Yoga
- meditative Bewegungsformen wie Tai-Chi und Qi Gong
- Einbeinstand, Standwaage oder andere koordinierende Übungen
- Kraftübungen wie die Plank
Einfluss der Psyche auf Körperwahrnehmung und Tiefenstabilisation
Wussten Sie, dass Emotionen, insbesondere Bewegungsangst oder Angst vor Schmerz, dafür sorgen, dass die Tiefenstabilisation nicht mehr so gut funktioniert bzw. die autochthone Rückenmuskulatur etwas später anspringt und der Feed Forward Mechanismus somit gestört wird? Daneben konnten Forscher zeigen, dass besonders bei Bewegungsangst die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule abnimmt und die Bewegungen deutlich steifer ablaufen.
Wie lässt sich der Feed Forward Effekt wieder trainieren?
Es wichtiges Ziel für Patienten ist es, Bewegungen und Körperhaltungen vorherzusehen und zu steuern, um Verletzungen zu vermeiden und die Funktionalität zu verbessern. Beim Feed Forward Phänomen geht man davon aus, dass das Gehirn Informationen über die bevorstehenden Bewegungen verarbeitet und anpasst, bevor diese tatsächlich ausgeführt werden.
Die grundlegenden Schritte für Feed Forward Training sind:
- Körperbewusstsein schaffen – gemeinsam mit dem Therapeuten lernt der Patienten, ein Bewusstsein für seine Bewegungen und Körperhaltungen zu entwickeln.
- Analyse von Bewegungsmustern – Auffinden ineffizienter oder potenziell schädlicher Bewegungsmuster
- Zielgerichtete Übungen – spezifische Übungen mit dem Ziel, die Bewegungskoordination und das Gleichgewicht zu verbessern
- Rückmeldung und Anpassung – kontinuierliches Feedback, um die Bewegungen in Echtzeit zu korrigieren und anzupassen
- Integrieren in den Alltag – erlernte Fähigkeiten in alltäglichen Aktivitäten und Bewegungen vorausschauend steuern
Tipps zur Integration der Übungen in Ihren Alltag
Damit Sie langfristig von Ihrem starken Rücken profitieren werden und Schmerzen vorzubeugen können, ist es wichtig, die Übungen in Ihren Alltag zu integrieren.
Hier sind einige Tipps, die Ihnen helfen können, dies effektiv umzusetzen.
- Planen Sie feste Zeiten ein
- Nutzen Sie Pausenzeiten
- Gestalten Sie Ihr Zuhause rückenfreundlich und platzieren Sie Ihre Trainingsgeräte dort, wo sie sie gut erreichen und daran erinnert werden, regelmäßig aktiv zu werden.
- Machen Sie aus Bewegung eine Gewohnheit
- Verbinden Sie die Übungen mit anderen Aktivitäten in Ihrem täglichen Alltag
Zum Abschluss noch etwas unnützes Wissen:
Laut Guinness Buch der Rekorde halten den Weltrekord im Planking eine 59jährige Frau mit 4,5 Stunden und ein 62jähriger Mann mit 8 Stunden. Eine Ausrede mit dem Alter können Sie also nicht anbringen, wenn es darum geht, Ihre Tiefenstabilisation zu trainieren.
Fazit
Wenn Sie Ihrem Rückenschmerz etwas entgegensetzen wollen, sind das ein Training der Tiefenstabilisation und ein regelmäßiges Aktivieren Ihres Körperbewusstseins. Um einen stabilen Feed Forward Mechanismus wieder zu reaktivieren, kann es hilfreich sein, einen Profi, also Coach oder Physiotherapeutin, hinzuzuziehen, um ineffektive Bewegungsmuster zu korrigieren und die Körperwahrnehmung zu optimieren.
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