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Körperliche Aktivität bei chronischen Schmerzen

Bewegung trotz Schmerz – Motivation & Mobilisation oder Widerspruch?

... besteht darin, Schmerzen zu vermeiden. Allerdings hören viele Patienten mit chronischen Schmerzen von ihren Behandlern, ihren Kollegen oder ihrem privaten Umfeld, sich mehr zu bewegen. Bewegung trotz Schmerz, darin besteht dann wohl ein Widerspruch, oder? Dieser Frage wollen wir dieses Mal in unserem Blog nachgehen.

 

Aktiv gegen den Schmerz

Viele Menschen mit dauerhaften Schmerzen schrecken vor Bewegung und sportlichen Betätigungen zurück, weil Sie befürchten, die Schmerzen könnten sich dadurch verstärken. Daneben besteht oft eine Angst vor bestimmten Bewegungen oder es entsteht der Eindruck, dass Sie krank sind und verschiedene Belastungen nicht mehr ausüben dürfen. Diese Angst ist aber bei anhaltenden Schmerzzuständen oft unbegründet.

Hier finden Sie ein paar Fragen, um diesen inneren Überzeugungen aufzuspüren, die einer freien Bewegung im Wege stehen könnten:

  • Denken Sie, dass der Schmerz dafür steht, in Ihrem Körper ist etwas kaputt?
  • Glauben Sie, dass etwas in Ihrem Körper nicht in Ordnung ist bei chronischen Schmerzen?
  • Haben Sie Sorge, dass Sie Ihren Körper (weiter) schädigen, wenn Sie sich bewegen?
  • Könnte bei weiterer Belastung etwas Schlimmes in Ihrem Körper passieren?
  • Sind Sie überzeugt, dass Ihre Arbeit Sie kaputt macht?
  • Glauben Sie, dass körperliche Belastung die Wirbelsäule oder Gelenke abnutzt?
  • Sind Sie der Ansicht, dass erst der Schmerz weg sein muss, bevor Sie sich wieder bewegen können oder dürfen?
  • Kennen Sie den Spruch „Sport ist Mord“ und wenden Sie ihn eventuell sogar auf sich an?
  • Denken Sie, dass Sie ein unsportlicher Mensch sind – oder stimmt das vielleicht sogar?

Manchmal bewegen sich Menschen mit chronischen Schmerzen auch nicht optimal in Hinblick auf ihre spezielle körperliche Ausgangslage, z.B. wenn sie auf eine Weise Lasten heben oder Bildschirmarbeit verrichten, die für ihre Wirbelsäule ungünstig ist. Ziel ist hier, Bewegungsmuster neu zu erlernen oder wieder zu erlernen.

Dauerhafte Schmerzen im Bewegungssystem können für die Betroffenen belastend sein und im Alltag einschränken. Sich schonen ist jedoch nicht zielführend. Mittlerweile ist allgemein bekannt, dass Bettruhe Beschwerden nicht bessert, sondern eher verstärkt und die Heilung verzögert. Außerdem kann sie ungünstige Auswirkungen haben wie Muskelabbau, abnehmende Leistungsfähigkeit oder Knochenschwund. Man schätzt, dass Personen, die körperlich nicht aktiv sind, in jedem Lebensjahr 1% ihrer Ausdauer und 2% ihrer Muskelkraft verlieren. Ein passender Spruch aus dem Englischen ist „Use it or loose it” („Nutze es oder verliere es”).

Die wirksamste Maßnahme dagegen heißt: Bewegung. Lassen Sie sich daher zu einer gesunden Lebensführung ermutigen, die körperliche Aktivität einschließt.


Heilende Wirkung von Bewegung

Inzwischen hat man herausgefunden, dass körperliche Aktivität entscheidend zur Heilung von Krankheiten beitragen kann. In verschiedenen wissenschaftlichen Studien wurde nachgewiesen, dass ein gezieltes Bewegungsprogramm den Verlauf von Erkrankungen wie Kreuzschmerzen, Arthritis, Herzerkrankungen, Demenz und anderen günstig beeinflussen kann.

Das heißt nicht, dass jeder Mensch mit dauerhaften Schmerzen sportliche Höchstleistungen erbringen soll. Denn auch zu viel Belastung kann eine Chronifizierung von Schmerzen eher fördern. Vielmehr geht es zunächst darum, die normalen Aktivitäten des täglichen Lebens so weit wie möglich beizubehalten. Wichtig ist, sportliche Aktivitäten schrittweise an die eigene Leistungsfähigkeit anzupassen.

Regelmäßige Bewegung lindert die Beschwerden und bereitet den Körper auch auf andere Aktivitäten vor.


Tipps für eine regelmäßige Bewegung:

  • Steigen Sie mit Ihrem Bewegungsplan langsam ein.
  • Steigern Sie sich mit den Belastungen allmählich.
  • Bedenken Sie, dass selten gebrauchte, verspannte, aber auch einfach schlaffe Muskeln schmerzhafter sind als Muskeln, die regelmäßig bewegt und gekräftigt werden
  • Erstellen Sie ein eigenes Programm mit individuellen Dehnungs- und Kräftigungsübungen, die Sie unbedenklich und regelmäßig ausführen können.
  • Lassen Sie sich diese persönlichen Übungen zeigen von Physio- oder Sporttherapeuten, von Fitness-Coaches, oder erlernen Sie diese in Präventivkursen oder über Gesundheits-Apps.

Mehrere Studien zeigen, dass Training sogar Schmerzmittel ersetzen kann. Regelmäßige, gezielte Bewegungen lindern Schmerzen, da der Körper bei sportlicher Betätigung körpereigene Endorphine ausschüttet, die, ähnlich wie Opiate, schmerzstillend wirken. Wer regelmäßig Opiate in Tablettenform zu sich nimmt, verringert hingegen die körpereigene Produktion von Endorphinen. Demnach sind aktive Menschen gegenüber Nichtsportlern zwar nicht weniger schmerzempfindlich, aber dafür schmerztoleranter. Sie nehmen Schmerzen als weniger vordergründig wahr.

Es wurde auch nachgewiesen, dass es die Endorphine sind, die Glücksgefühle nach intensiver körperlicher Belastung auslösen. Man spricht dann auch von einem „Runner’s high“. Regelmäßiges Training kann die Symptome von gestressten, depressiven und ängstlichen Personen lindern helfen sowie das Selbstwertgefühl verbessern. Eine positive Wirkung von körperlicher Aktivität auf psychische Funktionen ist auch zu erwarten, da sie das Wachstum von Nervenzellen begünstigen kann.


Bewegung und Training unter Schmerzen

Bei akuten Schmerzen als Folge einer Belastung sind die Bewegungseinschränkungen, die mit den Schmerzen einhergehen, in der Regel sinnvoll. Sie dienen der Ruhigstellung gewisser Körperteile und unterstützen so die Gewebeheilung.

Vor allem bei dauerhaften Schmerzsyndromen sind Funktionseinschränkungen hingegen als Komplikationen zu begreifen, die in ihrer Folge sogar zu dauerhaften Veränderungen der Struktur führen können. Diese Funktionsstörungen gilt es zu entschärfen.

Am Anfang der Bewegungstherapien kann es zu einer leichten Beschwerdezunahme kommen, insbesondere bei ungewohnten Bewegungen. Dies ist normal und wird sich mit zunehmender Mobilität von alleine geben – es ist ein Zeichen dafür, dass die Muskeln ihre Arbeit wieder aufgenommen haben.

Um die körperliche Belastbarkeit im Verlauf zu verbessern, ist eine schrittweise Steigerung der Beanspruchung unterhalb jener Grenze, die den Schmerz schlimmer werden lässt, erforderlich. Diese Grenze wird als „Schmerzschubschwelle“ bezeichnet.

Indem die körperliche Beanspruchung kontinuierlich um einen kleinen Betrag gesteigert wird, erhöht sich neben der Belastungstoleranzgrenze oftmals auch die Schmerzschubschwelle. Das Ziel ist es also nicht, Schmerzen bei den Übungen zu vermeiden, sondern sich immer bis an jene Grenze zu bewegen, die Schmerzschübe auslösen kann. Die Steigerung der Beanspruchung kann sich dabei auf verschiedene Aspekte beziehen, wie z.B. Dauer, Bewegungsausmaß oder Intensität der eingesetzten Muskelkraft.

Aktivität ist somit ein Teil gelebter Eigenverantwortung im Umgang mit Ihren Schmerzen.

Die Fähigkeit mit dauerhaften Schmerzen gut zu leben, muss erlernt werden.

Lassen Sie sich also nicht entmutigen, denn es ist möglich!


Alltag, Sport und Beruf bei Schmerzen 

Sport kräftigt die Muskeln und fördert das körperliche und seelische Wohlbefinden. Da Schmerzen individuell sehr verschieden sind, können jedoch keine pauschalen Empfehlungen zum Bewegungstraining gegeben werden. Sie sollten lernen, auf Ihren Körper zu hören und Ihr Training dementsprechend anpassen. Ziel ist, Ihre Körperwahrnehmung im täglichen Alltag neu zu erfahren und die Tätigkeiten, die Sie sowieso täglich ausüben, in ihrer körperlichen Beanspruchung anzupassen. Nehmen Sie sich für die Veränderungen kleine Teilziele vor, damit Sie sich nicht überfordern oder frustrieren.

Menschen mit chronischen Schmerzen benötigen nicht nur „die eine“ Übung. Genauso ist es oft nicht nur mit einer einzigen Empfehlung getan für eine bestimmte Bewegungs- oder Sportart.  Oft braucht es eher ein Übungsprogramm aus Übungen zur Mobilisation (z.B. Stretching, Dehnen), Stabilisierung (z.B. Core Training oder Beckenbodenübungen) und Kräftigung (Muskelaufbau), das eine regelmäßige Anwendung erfordert. Übungen für Mobilisation und Koordination sollten in der Regel täglich durchgeführt werden. Ebenso ist ein Ausdauertrainingtäglich möglich. Kraft sollte zwei- bis dreimal pro Woche trainiert werden.

Fragen Sie Ihre behandelnden oder Sie trainierenden Personen, welcher Sport oder welche Trainingsmethode für Sie eventuell geeignet ist.

Die Ausführung der Berufstätigkeit bzw. die Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit bei dauerhaft

dauerhaftem Schmerz ist für einige Menschen mit chronischen Schmerzen schwierig. Sie können schnell in berufliche Schwierigkeiten geraten, woraus sich eine negative Sozialspirale entwickeln kann, die wiederum die Schwere des Verlaufs und Dauer einer Schmerzerkrankung negativ beeinflusst. Es gibt vorbeugende Faktoren, die einen chronischen Verlauf positiv beeinflussen. Dazu zählen z.B. das eigene Verhalten im Alltag und am Arbeitsplatz oder ein sinnvolles Gleichgewicht zwischen Bewegung und Entspannung.

Es ist wichtig, wenn Sie im erwerbsfähigen Alter sind, dass Sie sich fragen, welche Bewegungen Sie im Arbeitsalltag optimieren können, wie Sie Ihren Körper besser für eine ausreichende Arbeitsbelastbarkeit vorbereiten können, ob Sie Unterstützung beim Wiedereinstieg in die Arbeit benötigen oder ob es erforderlich ist, sich eine andere Beschäftigung zu suchen, die besser zu Ihren Lebensumständen passt. Eine berufliche Tätigkeit gibt dem Menschen ein Gefühl der Wertschätzung. Es ist bekannt, dass Patienten sich durch ihre Schmerzen ausgeschlossen und isoliert fühlen. Je mehr Zeit Sie ohne Berufstätigkeit verbringen, umso schwerer ist es, wieder ins Berufsleben zurück zu finden. Warten Sie nicht darauf, dass Ihre Schmerzen komplett weg sind, bevor Sie wieder beginnen zu arbeiten. Versuchen Sie mit der Schmerzerkrankung wieder Kontrolle über Ihr eigenes Leben zu erlangen.

Hauptsache Bewegung

Das Hauptziel für die meisten Menschen mit Schmerzen sind Schmerzlinderung und das Wiedererlangen der Funktionsfähigkeit für Alltag und Beruf.

Den wichtigsten Beitrag zur Behandlung und auch Vorbeugung von Schmerzen im Bewegungssystem leisten dabei Sie selbst:

Seien Sie aktiv und bewegen Sie sich ausreichend.


15 gute Gründe für Bewegung
Bewegungstraining (Beweglichkeit, Koordination, Kräftigung, Ausdauer):

  • verbessert und erhält das allgemeine Wohlbefinden
  • stärkt die Muskelkraft
  • steigert die Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislaufsystems (Herz, Lunge, Blutgefäße)
  • verbessert die Beweglichkeit
  • verbessert den Gleichgewichtssinn und die Koordination
  • steigert die Ausdauer und das Durchhaltevermögen
  • erleichtert die Gewichtskontrolle
  • unterstützt eine regelmäßige Verdauung
  • erhöht die Bildung körpereigener natürlicher Schmerzblocker (Endorphine) im Nervensystem, was die Kontrolle über den Schmerz unterstützt
  • lindert Schlafstörungen
  • verringert Ermüdungserscheinungen und steigert die Energie
  • senkt Muskelverspannungen, Stress und Aggressionen
  • hilft, Depressionen und Angst entgegenzuwirken
  • unterstützt eine positive Lebenseinstellung
  • ermöglicht wieder eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben

Viel Erfolg beim Bewegen in die gewünschte Richtung wünscht

Dr. Stephan Vinzelberg | Ltd. Oberarzt Klinik und Tagesklinik Manuelle Medizin (Lichtenberg)
Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin 
Chirotherapie/Manuelle Medizin 
Spezielle Schmerztherapie
stephan.vinzelberg@sana-kl.de