Die Diagnose Blinddarmentzündung – Mediziner sprechen von Appendizitis – wird jedes Jahr etwa 80.000 Mal gestellt. Das lebenslange Risiko für eine Entzündung des Wurmfortsatzes liegt bei etwas über sieben Prozent. Man kann den Blinddarm also durchaus als Problemorgan bezeichnen. PD Dr. Kay-Rüdiger Kohlhaw, Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, MIC- und Gefäßchirurgie an den Sana Kliniken Leipziger Land in Borna, erklärt, wie man die Erkrankung erkennt, welche Rolle die Ernährung spielt und wie gegebenenfalls behandelt wird.
Die meisten Laien halten den Blinddarm für ein überflüssiges Organ, das keinerlei Funktion mehr hat. Stimmt das denn?
Nein, natürlich nicht. Der im Volksmund „Blinddarm“ genannte Wurmfortsatz – lateinisch Appendix – hat schon seine Funktionen. Er besteht zu einem großen Teil aus lymphatischem Gewebe und in der Kindheit hat er einen wichtigen Anteil an der Ausbildung des Immunsystems. Außerdem wird vermutet, dass er eine Art Reservoir für die Darmflora ist, aus dem Ersatz für verlorengegangene Darmbakterien kommt – zum Beispiel nach einer Durchfallerkrankung.
Ein Leben ohne Blinddarm ist also kompliziert?
Auch hier ein Nein. Nach einer Blinddarm-OP kommt es – wenn sie gut verlaufen ist – zu keinen Einschränkungen. Augenscheinlich kann der Körper den Verlust des Blinddarms gut kompensieren.
Warum entzündet er sich?
Die häufigste Ursache ist ein Sekretstau, weil sich Stuhl im Eingang des Wurmfortsatzes festgesetzt hat. Das ist dann ein schicksalhaft fruchtbarer Nährboden für Bakterien, die schließlich eine Entzündung herbeiführen können.
Hat das auch mit einer mangelhaften Ernährung zu tun?
Auch wenn eine gute, ausgewogene Ernährung viele Vorteile bietet und viele Erkrankungen verhindern hilft, lässt sich gerade eine Appendizitis nicht vermeiden, indem man besondere Ernährungsregeln einhält. Sie kommt eher schicksalhaft.
Meist hört man ja von einer Blinddarmentzündung, wenn sie ein Kind befällt. Ist sie typisch für das Kindesalter?
Im Grunde kann sie jedes Alter treffen. Sie tritt zwar vermehrt bei jüngeren Menschen bis zum etwa 30. Lebensjahr auf, allerdings gibt es auch eine Häufung bei älteren Menschen, wir Mediziner sprechen dann von einer Altersappendizitis.
Welche Symptome deuten auf eine Blinddarmentzündung hin?
Die Appendizits zeigt sich in den allermeisten Fällen durch Bauchschmerzen, die um den Bauchnabel herum beginnen und sich dann in den rechten Unterbauch verlagern. Daneben können auch Symptome wie mangelnder Appetit, Übelkeit, Erbrechen und Fieber auftreten. Aber sie sind eher unspezifisch, lassen sich auch bei vielen anderen Erkrankungen beobachten.
Was kann der Arzt tun, um die Diagnose abzusichern?
Die Diagnose wird zunächst klinisch und in der körperlichen Untersuchung gestellt. Denn es gibt drei charakteristische Druckpunkte im Bauchbereich, durch die sich die Schmerzen bei einer Appendizitis provozieren lassen. Und es gibt auch das Phänomen des „Loslass-Schmerzes“. So drückt man zum Beispiel mit der Hand links auf der Gegenseite des entzündeten Wurmfortsatzes, und löst anschließend die Hand schnell wieder vom Bauch. Wenn dann bei diesem Loslassen im rechten Unterbauch, also dort, wo der Blinddarm sitzt, Schmerzen auftreten oder der Schmerz sich steigert, gilt das als ein deutlicher Hinweis auf eine Appendizitis.
Warum?
Weil es durch das rasche Loslassen zu einer plötzlichen Masseverlagerung des Darms kommt, die das Bauchfell um den entzündeten Wurmfortsatz reizt.
Wenn also der Patient an den genannten Punkten reagiert, ist die Diagnose absolut sicher?
Leider nicht. Die klinische Diagnose der Appendizitis ist manchmal schwierig. Daher sollte man auf jeden Fall noch Blut entnehmen, um es auf eine erhöhte Anzahl weißer Blutkörperchen und andere Entzündungszeichen zu untersuchen. Und eine Ultraschalluntersuchung gehört standardmäßig auch dazu. Wenn man dabei den Blinddarm sieht und dieser verdickt ist, liegt man mit der Diagnose Appendizitis in der Regel schon richtig. Für den Ultraschall sollte man als Arzt aber schon geübt sein.
Muss im Falle des Falles immer operiert werden?
Bei einer nicht sicheren Diagnose wird der weitere Verlauf zunächst abgewartet. Manchmal kommt es unter Antibiotika-Gabe zu einer Besserung der Symptomatik. Vor allem bei Kindern kann auch eine unspezifische Entzündung der Lymphknoten des Bauchraumes die Symptomatik einer Appendizitis vortäuschen. Ist die Diagnose jedoch sicher gestellt, kann zwar theoretisch auch eine Behandlung mit Antibiotika erfolgen, doch deren Erfolgschancen sind gering. Bei einer akuten Entzündung sollte nach derzeitigem medizinischen Erkenntnisstand der Wurmfortsatz in der Regel immer möglichst schnell – innerhalb von sechs bis zwölf Stunden – entfernt werden.
Und was kann passieren, wenn man zu lange zögert?
Dann kann der Appendix aufplatzen, sodass der Darminhalt samt seinen Bakterien ungehindert in den Bauchraum gelangt. Es kommt sofort zu einer Bauchfellentzündung, die zu Verklebungen im Bauchraum führen kann und letztendlich auch das operative Entfernen des Appendix erschwert. Dann kann es wirklich lebensgefährlich werden.
Stirbt in Deutschland noch jemand am Blinddarmdurchbruch?
Ja. Gerade bei chronisch kranken und auch alten Patienten kann das durchaus passieren. Laut Robert-Koch-Institut sterben in Deutschland jährlich mehr als 100 Menschen mit einer akuten Appendizitis, dann aber in der Regel an anderen (Begleit-)Erkrankungen.